Samstag, 4. Mai

Berteau glaubte zwar nicht daran, daß sich in dieser Nacht noch etwas Entscheidendes tun würde, aber er hatte sich nun mal in den Kopf gesetzt, das Objekt seiner Neugierde rund um die Uhr zu beobachten. Man konnte ja nie wissen. Wenn er den Schilderungen des Gendarmerieleiters über die Gefährlichkeit der Gewässer um die Ile Oublieé Glauben schenken wollte, so konnte er davon ausgehen, daß niemand, der nächtens ein Boot dort anlanden wollte, dies ganz ohne Licht riskieren würde.

Im Dunkel der Nacht war die Insel zwar nicht zu sehen, aber im Grunde genügte es auch, die Aufmerksamkeit auf die Richtung zu konzentrieren, in der sie liegen mußte. Die Nacht war sternklar, und ein wenig Sorgen machte ihm der fast volle Mond, dessen helle Scheibe jetzt weit im Westen stand und sich anschickte, im offenen Meer zu versinken. Sein Licht spiegelte sich als lange, diffuse Spur auf dem Wasser, und der Kommissar fürchtete, daß Positionslampen oder Suchscheinwerfer eines Bootes auf größere Entfernung darin untergehen könnten.

Berteau fröstelte. Im Schein der Taschenlampe machte er sich auf, seinen Schlafsack und eine Luftmatratze aus dem Zelt zu holen. Er wußte, daß Berger auch einen Blasebalg organisiert hatte, konnte diesen im Dunkeln aber nicht finden. Zu seinem Ausguck zurückgekehrt, mußte er also seine Lungen bemühen, um die Polster der Luftmatratze zu füllen. Eine halbe Stunde brachte er damit zu, zu ergründen, wie man es anstellen mußte, die drei Luftkammern so zu falten, daß ein halbwegs bequemer Sitz entstand. Nur gut, daß ihm um diese Zeit niemand zusah.

Er entrollte den Schlafsack und streifte ihn über. Nach mehreren Anläufen schaffte er es, sitzend eine einigermaßen bequeme Position einzunehmen. Die angestrengte Tätigkeit bewirkte, daß es ihm jetzt auch ohne Schlafsack warm geworden war, und er verzichtete vorerst darauf, den Reißverschluß hochzuziehen.

Der Mond war mittlerweile untergegangen, und das spärliche Licht der Sterne reichte nicht aus, irgend etwas in der Umgebung zu erkennen.

Berteau besann sich auf alte pfadfinderische Tugenden, und versuchte Sternbilder zu erkennen. Aber mehr als den großen und den kleinen Wagen und Kassiopeia konnte er nicht identifizieren.Also lenkte er seine Aufmerksamkeit auf die Geräusche der Nacht. Das Meer nahm er als dumpfes, unterschwelliges Rauschen war, das ganz langsam und unmerklich stärker wurde. Aus seinen Gesprächen der vergangenen Tage wußte er, daß jetzt die Flut auflaufen mußte und er rechnete sich aus, daß diese irgendwann zwischen vier und fünf Uhr ihren Höchststand erreichen würde. Nicht daß er der Urteilsfähigkeit der Camper mißtraute, aber sein Beobachtungspunkt lag zwischen dem Camp und der nahenden Wasserlinie, und er hoffte inständig, daß er sich noch im sicheren, trockenen Bereich aufhielt.

Die Besitzer der nächstgelegenen Zelte waren zur Nachtarbeit übergegangen und hatten die unterschiedlichsten Modelle von Sägen in Betrieb genommen. Berteau versuchte, die diversen Schnarchgeräusche nach Hand-, Gatter-, Kreis und Kettensägen zu klassifizieren und sie den Verursachern zuzuordnen, soweit er sie kennengelernt hatte. Gelegentlich ratschte irgendwo der Reissverschluß eines Zelteingangs, und dann und wann zeigte der huschende Schein einer Taschenlampe an, daß sich jemand auf den Weg zur Sanitärabteilung machte.

Gegen halb vier schnappte der Kommissar seine Utensilien und schlich sich zum Zelt. Aus der vorhandenen Küchenausstattung entnahm er einen Teerkessel und füllte diesen an der Wasserleitung. Dann begann er, im Schein der Taschenlampe Kaffee zu kochen. Gegen vier weckte er Berger, damit dieser ihn auf dem Ausguck ablösen konnte.

Bergers Begeisterung war verständlicherweise gleich Null. Als ihm jedoch der Duft frischgebrauten Kaffees in die Nase stieg und ihm der Kommissar andeutete, die Masse davon könne er in der Thermoskanne mit auf Posten nehmen, war er einigermaßen besänftigt.

Sie schlürften je einen Becher des heißen Gebräus gemeinsam und Berteau gab mit gedämpfter Stimme seine Direktiven aus. Danach trollte sich Berger murrend. Der Kommissar verzog sich in seinen Schlafsack, nicht ohne vorher die schlimmsten Disziplinarmaßnahmen anzudrohen, falls es jemand wagen sollte, ihn vor acht Uhr zu wecken.

*****

Henriette de Lacroix kam über das Nudistencamp wie ein mittelamerikanischer Tornado. Henriette war blond, einssiebenundsechzig groß und hatte die Idealmaße eines hoffnungsvollen Hollywood-Starlets. Henriette neigte zu cholerischen Anfällen und zu maßlosen Eifersuchtszenen. Und vor allem, sie war Albert Bergers Verlobte.

Sie erschien gegen sieben Uhr oben an der Dünenabbruchkante über dem Camp und war in Fahrt wie der Racheengel des Herrn persönlich. Sie trug ein zerknittertes, beigefarbenes Kostüm mit weißer Bluse und hochhackigen Pumps. Ihre großformatige Handtasche schwang sie, wie weiland David seine Steinschleuder zum Angriff auf Goliath.

Als Berger ihr am Donnerstagabend mitgeteilt hatte, daß aus dem beabsichtigten FKK-Wochenende nichts werden würde, hatte sie bereits ihren ersten programmgemäßen Wutanfall inszeniert und diesem bescheuerten Kommissar die Pest oder sonst was an den Hals gewünscht. Nach Bergers Anruf vom vergangenen Abend, bei dem er ihr mitteilte, es habe ihn dienstlich genau in jenes Nudistenlager verschlagen, in dem sie zusammen das Wochenende verbringen wollten, und sie möge doch bitte -mit Erlaubnis des Kommissars- nachkommen, hatte sie zwei Stundenlang dessen Photographie auf ihrem Nachttisch beschimpft. Dabei war sie so heftig zu Werke gegangen, daß sie die Concierge des Hauses, in dem sie ihre Wohnung hatte, zur Ruhe mahnen mußte.

Ha, das konnte doch nicht wahr sein! Ihr Albert eine ganze Nacht lang unter lauter nackten Weibern! Und sie selbst mehr als hundert Kilometer davon entfernt! In einem wilden Entschluß begann sie zu packen. Kurz vor Mitternacht holte sie mit Gepolter ihre Campingausrüstung vom Speicher, was einen erneuten und diesmal heftigen Disput mit der Concierge zur Folge hatte. Gegen null Uhr dreißig war ihr Gepäck auf dem Rücksitz ihrer Ente verstaut. Sie setzte sich ans Steuer und verließ Lorient mit qualmenden Reifen.

Unglücklicherweise beachtete sie nicht die Tankanzeige an ihrem Fahrzeug, was zur Folge hatte, daß der 2CV kurz nach zwei Uhr auf halber Strecke zwischen Plêmet und St.Gilles-du-Mene aus Spritmangel den Gehorsam verweigerte.

So mitten in der Nacht und in einer ihr fremden Gegend und in einer vom Mondlicht ziemlich unheimlich beleuchteten Landschaft traute sie sich nicht auszusteigen und zu Fuß zum nächsten Ort zu gehen. So verriegelte sie die Türen ihres Wagens von innen und verbrachte die Zeit bis kurz vor sechs Uhr teils vor Kälte, teils vor Furcht zähneklappernd. Dann erlöste sie eine zufällig vorbeikommende Streife der Gendarmerie mit einem Reservekanister Benzin aus ihrer Not.

Jetzt machte sie sich an das riskante Unternehmen, in ihren hochhackigen Schuhen den steilen Pfad hinunterzuklettern. Prompt knickte sie auf den letzen Metern um und brach den Absatz ihres rechten Schuhs ab. Sie stieß ein halbes Dutzend absolut undamenhafter Verwünschungen aus, entledigte sich ihrer Schuhe ganz und warf sie in Richtung der nächstliegenden Zelte. Dabei verfehlte sie den Inhaber des ersten Zeltes, der verschlafen und verwundert den Kopf aus dem Eingang steckte, nur um Haaresbreite.

Der zog zunächst sicherheitshalber den Kopf zurück, kam aber nach einigen Sekunden wieder zum Vorschein. Er betrachtete die wütende Blondine einen Moment erstaunt, dann glitt so etwas wie Erkennen über sein Gesicht. "Alarm", brüllte er mit breitem Grinsen, "Überfall! Leute, bringt euch in Sicherheit! Die wilde Henriette ist im Lager!"

Das Camp erwachte jetzt schlagartig. Überall ratschten die Reißverschlüsse an den Zelteingängen, neugierige Gesichter wurden herausgestreckt.

Henriette setzte ihren Sturmangriff auf das Camp barfuß fort. Berger, der auf seinem Ausguck für einige Minuten eingenickt war, schreckte auf, sah sie kommen und rollte sich seitlich von seiner Luftmatratze. Er machte sich so flach, wie er nur konnte und war entschlossen, in dieser Stellung abzuwarten, bis der schlimmste Sturm sich gelegt hatte.

Das blonde Unwetter nahm seinen Weg zielgerichtet zu Deltompes Zelt und überschüttete diesen, der soeben verschlafen herauskam, um nach der Ursache des Aufruhrs zu sehen, mit einer Flut von Vorwürfen. Pierre, der nicht wußte, wie ihm geschah, setzte sich ebenso lautstark zur Wehr.

Eine ganze Anzahl anderer Lagerbewohner kam feixend und neugierig herbei, und es bildete sich um Deltompes Zelt eine dichte Traube von lärmenden Menschen.

Berteau erwachte vom allgemeinen Lärm und sah auf die Uhr. Statt der erhofften vier, hatte er jetzt nur zweieinhalb Stunden Schlaf abbekommen, was ihn nachhaltig verdroß. Der Krach von draußen war unerträglich, und er steckte vorsichtig den Kopf aus dem Zelt. Erleichtert stellte er fest, daß die meisten Bewohner des Camps noch mehr oder weniger vollständig bekleidet waren. Das mochte an der relativen Kühle des Morgens liegen oder an der unerwarteten Störung. Er würde also keinen Fauxpas begehen, wenn er sich im Trainingsanzug der Gruppe bei Deltompes Zelt näherte. Mißmutig gesellte er sich zu den anderen.

Der Lärm ging von einer offensichtlich gerade erst angekommenen jungen Frau aus, die sich lauthals mit dem Klubpräsidenten stritt. Berteau fand, daß ihre zwar etwas ramponierte, aber dennoch elegante Kleidung in krassem Gegensatz zu ihrem schrillen Auftreten stand.

Es dauerte einige Minuten, bis er begriff, worum es bei dem Disput ging. Dann ging ihm auf, daß es sich bei der Blonden um Bergers Verlobte handeln mußte, die er im Grunde selbst hierher zitiert hatte. Bei Gott, dachte er sich, es geht mich ja nichts an, mit was für Leuten sich meine Mitarbeiter in ihrer Freizeit abgeben, aber das hätte ja nun nicht unbedingt sein müssen.

"Pierre," keifte die blonde Furie gerade, " ich will jetzt sofort von Dir wissen, in wessen Schlafsack ihr Albert über Nacht gesteckt habt? Wo steckt der Kerl denn überhaupt? Und von diesem komischen Kommissar werde ich das Innerste nach außen wenden, wenn ich ihn in die Finger kriege"

Das war dann doch zu stark. Berteau schob die vor ihm Stehenden beiseite und betrat den Kampfplatz. Wenn diese Spinatwachtel sich so aufführen muß, dachte er bei sich, ist besondere Höflichkeit nicht angepaßt. "Madame", er nutzte die Tatsache, daß Henriette für einen Moment Luft holen mußte, "ich habe den Eindruck, sie reden von mir. In der Tat bin ich dieser seltsame Kommissar, der ihren armen Albert hierher geschleppt hat, damit er serienweise alles vernascht, was weiblich und unter fünfzig ist. Schließlich ist er ja Flic und wird für nichts anderes bezahlt, oder?"

Henriette schwieg verblüfft und mit offenem Mund. Einen derartigen Gegenangriff hatte sie hier bei den eher auf Harmonie bedachten Sonnenanbetern nicht erwartet. Doch Berteau war weder einer von denen, noch auf Friede, Freude, Eierkuchen aus, schließlich war er hier, um zu arbeiten, und schon gar nicht fertig:

"Was Ihren Albert betrifft, so drückt der sich derzeit da hinten in den Sand wie ein Schlickwurm, der befürchtet, daß ihn eine hysterische Strandgans zum Frühstück verspeist. Wenn Sie versprechen, nicht weiterhin so einen Lärm zu machen, so überlasse ich ihn Ihnen bis Mittag.

Aber dann meldet er sich wieder bei mir zum Dienst, unbeschädigt und einsatzbereit."

Er wandte sich ab und fügte über die Schulter hinzu: "Ich für mein Teil beabsichtige jetzt, noch mindestens zwei Stunden zu schlafen!" Er sah Henriette abschätzig an: "Und Sie sollten das, mit Verlaub gesagt, auch tun, sobald Sie sich eingerichtet haben! Sie erwecken im Moment den Eindruck, als hätten Sie die Nacht mit einer Schar Hühner auf der Stange verbracht. Und wenn Sie nicht aufhören zu gackern, fürchte ich, legen Sie auch noch Eier."

Er machte sich auf den Weg zurück zu seinem Zelt. Aus Henriettes Mund kam ein erstickter Laut, der sich entfernt wie "Flegel" anhörte. Berteau antwortete mit einem klar verständlichen "Zimtzicke" und verschwand.

Die Umstehenden kommentierten den Auftritt des Kommissars mehrheitlich mit beifälligem Gemurmel. Die Versammlung löste sich auf, die Sensation war zu Ende.

Berger, der mittlerweile Schlafsack, Luftmatratze und Kaffeekanne bei Berteaus Zelt deponiert hatte, kam herbei geschlendert. Mit einem entschuldigenden Schulterzucken in Deltompes Richtung faßte er die immer noch sprachlose Henriette bei der Hand und zog sie in Richtung Parkplatz den Pfad hinauf.

Außerhalb der Hörweite des Camps entspann sich zwischen den Beiden ein heftiger Disput. Berger stellte fest, daß Henriette mal wieder kein Fettnäpfchen ausgelassen hatte, in das sich zu treten lohnte. Wie stand er jetzt nach dieser Peinlichkeit vor seinem Vorgesetzten da? Er habe nicht übel Lust, sie nach Lorient zurückzuschicken.

Henriette entschuldigte ihr Verhalten mit ihren angegriffenen Nerven. Schließlich habe sie die Nacht in einsamer Prärie im antriebslosen Auto verbracht. Sie vergoß einige Krokodilstränen und versprach, sich bei Pierre und dem Kommissar zu entschuldigen.

Sie schlugen Henriettes Iglu-Zelt am Ende der Reihe und am weitestmöglichen, von Berteaus Unterkunft entfernt liegenden Punkt des Lagers auf. Nachdem sie Henriettes übriges Gepäck verstaut hatten, verkrochen sie sich im Iglu. Nach den unterdrückten Geräuschen, die durch die textilen Wände drangen, wurde im Folgenden harte Versöhnungsarbeit geleistet.

*****

Kommissar Berteau wurde gegen neun Uhr dreißig zum zweitenmal geweckt, diesmal jedoch vom Schrillen des Mobiltelephons. Le Sauvage meldete, sein Hehler aus Sables dŽOr habe Kontakt mit ihm aufgenommen und wolle sich am Sonntagabend in seinem Laden mit ihm treffen. Er habe eine Quelle aufgetan, und sein Lieferant wolle die fünf vermißten Apostel am Sonntag bereitstellen. Übergabe nur gegen Bares natürlich.

Berteau war mit sich zufrieden. Gesetzt den Fall, die Ware befand sich wirklich da draußen auf der Insel, dann mußte in den nächsten vierundzwanzig Stunden Bewegung in die Sache kommen. Es konnte jedoch nicht schaden, vorsichtshalber zweigleisig zu fahren. Also bestellte er den Wilden auf Sonntag mittag nach St. Malo, wo er ihn am Bahnhof abholen lassen wollte.

Er rief seinerseits das Commissariat Central in Lorient an und veranlaßte, daß man le Sauvage am anderen Tage in seiner Hütte mit einem Wagen abholen, am Bahnhof mit einer Fahrkarte ausstatten und in den Zug setzen sollte. Noch während des Gesprächs begann an seinem Handy nervös ein rotes Lämpchen zu blinken. Das kleine Schild daneben besagte "Batterie low".

"Scheißtechnik", knurrte Berteau. "Ausgerechnet jetzt, wo es spannend wird, gibt das Ding den Geist auf. Na hoffentlich weiß Berger, was man dagegen tun kann."

Er steckte den Kopf aus dem Zelt um die Lage zu peilen.. Die Sonne hatte sich mittlerweile weit über den Klippenrand erhoben und schickte ihre angenehm wärmenden Strahlen in das Camp. Die Nudisten hatten sich durchweg ihrer Bestimmung ergeben und liefen nackt herum. Berteau seufzte. Die Stunde der Wahrheit war also gekommen, er konnte ja schlecht seine Aufgabe vom verschlossenen Zelt aus wahrnehmen. Gottergeben schälte er sich aus seinem Trainingsanzug, griff sich Wasch- und Rasierzeug und machte sich auf den Weg zum Waschtrog. Er ging hinten um die Zeltreihe herum, benutzte einen Pfad, den er am Abend zuvor noch ausgekundschaftet hatte und von dem er annahm, auf ihm nicht allzuvielen Leuten zu begegnen.

Doch seine Vorsichtsmaßnahme war vergebens. Kaum hatte er einen Schritt aus dem Zelt gemacht, erspähte ihn Yvonne, Deltompes kompakte bessere Hälfte. "Bonjour Armand," rief sie lärmend über den Platz, "allez, allez, Frühstück ist fertig. Beeilen Sie sich, der Café wird kalt."

Berteau zuckte zusammen, als hätte man ihm mit einem Knüppel zwischen die Schulterblätter getroffen. So dankbar er jetzt für die Einladung zum Frühstück war, so sehr verwünschte er die lärmende Art, mit der Yvonne seinen Auftritt publik machte. Er drehte sich halb herum und winkte mit dem Handtuch: "Bonjour ,Yvonne, lassen Sie mir ein paar Minuten, um einen einigermaßen zivilisierten Zustand herzustellen!" . Dann atmete er tief durch und setzte seinen Weg fort.

Die ersten zwanzig Schritte hatte er das Gefühl, die ganze Campbesatzung starre ihm nach. Doch dann stellte er fest, daß sich im Grunde niemand für ihn und seine ersten Gehversuche interessierte. Dennoch atmete er erleichtert auf, als er die Sichtblende um die Sanitärabteilung erreichte.

Er trat an den Waschtrog und begann mit seiner Morgentoilette. Das Wasser aus der improvisierten Leitung war verflixt kalt und ersetzte seine gewohnte morgendliche Dusche nur unvollkommen. Er versuchte sich mit einer Naßrasur, hatte aber seine Mühe damit. Das ganze drohte zu einem wahren Schlachtfest zu werden.

Kurz nach ihm trat eine blonde, junge Frau hinter die Sichtblende der Waschanlage. Sie suchte sich den Wasserhahn gegenüber Berteau aus und machte sich eine Zeit lang unentschlossen an ihren Utensilien zu schaffen. Der Kommissar bemühte sich, sie nicht gar zu auffällig zu betrachten. "Unechte Blondine", konstatierte er im Geiste mit dem für Fälschungen geübten Blick des Experten, "aber zweifellos für einen jungen Kerl wie Berger ungeheuer attraktiv". Auch wenn er jetzt die Erfahrung machte, daß Menschen ohne ihr textiles Outfit gar nicht so einfach zu identifizieren waren, war ihm klar, daß es sich bei der Blonden um die schrille Henriette vom Sieben-Uhr-Auftritt handelte.

Diese gab sich einen Ruck und sprach ihn an: "Monsieur le Commissaire, ich fürchte, ich muß mich für meinen Ausfall von vorhin bei Ihnen entschuldigen". Ihre Stimme klang jetzt reichlich unsicher. "Aber meine Nerven haben mir wohl einen Streich gespielt" Und dann erzählte sie von der Nacht, die sie bibbernd und zähneklappernd irgendwo an der Landstraße mitten in der Prärie im Auto zugebracht hatte.

Berteau akzeptierte zwar ihre Entschuldigung, ihre mitgelieferte Erklärung jedoch nur zum Teil. Nachdem, was er von ihrem morgendlichen Auftritt mitgehört hatte, hielt er sie für eine exaltierte Pute, die ihre Eifersuchtsanfälle eigens fürs Publikum inszenierte. Vermutlich hatte ihr Berger zwischenzeitlich den Marsch geblasen, da sie jetzt sichtlich zurücksteckte. Obwohl sie sichtlich darauf wartete, dachte er nicht daran, die Zimtzicke zurückzunehmen. Statt dessen goß er Öl ins Feuer.

"Nun, Mademoiselle Henriette, nachdem Sie sich etwas beruhigt haben, denke ich, daß Sie eine weitere schlechte Nachricht vertragen. Ich glaube, daß ich Ihnen Ihren Albert heute Abend, spätestens heute Nacht wieder für einige Stunden entführen muß. In die Angelegenheit, wegen der wir eigentlich hier sind, kommt nämlich Bewegung. Ich bin sicher, daß eine Nacht hier allein im Zelt bequemer und weit weniger gefährlich ist, als die vergangene im Auto. Ich bitte Sie, Albert gleich nachher zu mir zu schicken, es gibt nämlich ein technisches Problem zu lösen."

Er ließ Henriette an diesem Tag zum zweiten Male mit offenem Mund zurück. Der Rückweg zum Zelt fiel ihm jetzt leichter, und er benutzte die kürzeste Strecke mitten durchs Gewimmel. Ein paar junge Leute hatten sich ein Feld für Beach-Volleyball abgesteckt und rackerten sich redlich ab. Weiter hinten vergnügten sich einige ältere Herren mit Boule. Nahe an der Wasserlinie balgten sich eine Handvoll Kinder um eine Frisbee-Scheibe. Er fand, das einzige, was ihn jetzt noch von versierten Sonnenanbetern unterschied, war die Tatsache, daß deren Haut schon einige Tage mehr Sonne abbekommen hatte, als seine.

*****

Yvonne Deltompe ließ es sich nicht nehmen, ihn bis zum Eichstrich mit Schinken und Ei vollzustopfen. Pierre hatte im Dorf frische Baguettes besorgt, und dazu gab es einen Kaffe, der dazu angetan war, Tote ins Leben zurückzurufen.

Pierre leistete ihm beim Frühstück Gesellschaft, und er zeigte sich besorgt, Henriettes Einlage könne bei Berteau einen falschen Eindruck erweckt haben. Doch der beruhigte ihn: "Lassen Sie mal Pierre, ich habe mit Mademoiselle Xanthippe gerade gesprochen, und ich bin überzeugt davon, daß sie so zahm wie ein Hauskätzchen sein wird,solange ich hier bin."

Deltompe war erleichtert. Zum Abschluß des Frühstücks bot er Berteau Zigaretten an, und dieser bediente sich dankbar. Für den Moment war er rundum mit seiner Lage zufrieden.

Berger kam die Zeltreihe entlangeschlendert. Berteau mußte neidlos zugeben, daß der junge Mann so ganz netto etwas von einer griechischen Heldenstatue an sich hatte. Henriettes Mißtrauen mochte nicht ganz unbegründet sein. Die jungen Damen, an denen Berger vorbeikam, riskierten schon manchen intensiven Blick.

 

Der Flic blieb zögernd in zwei Metern Abstand stehen: "Sie wollten mich sprechen, Monsieur le Commissaire?"

Berteau bedeutete mit einer Handbewegung, sich gegenüber auf die Bank zu setzen. Er berichtete von le Sauvages Anruf und folgerte: "Jetzt hängt alles davon ab, ob unsere Annahmen stichhaltig sind. Ist das so , so denke ich, daß unsere Freunde heute mit der Nachmittagsflut versuchen werden, die Insel zu erreichen und den Rest des Tages und die Nacht über packen und ihr Boot beladen. Später geht das nicht, denn morgen Abend wollen sie ja bereits einen Teil des Diebesgutes absetzen. Mit der Frühflut morgen, so zwischen vier und sechs, werden sie die Insel wohl wieder verlassen, und ich hoffe, sie dabei zu stellen.

Es gibt da allerdings ein Problem. Die Batterie unseres Handys gibt den Geist auf, und wir sind von der Welt abgeschnitten. Sie muß also aufgeladen oder ausgewechselt werden. Sind wir darauf eingerichtet?"

Berger schüttelte den Kopf. "Non, ich fürchte das müssen wir in St. Malo erledigen!"

Berteau zuckte mit den Schultern: " Nun, dann werden Sie sich gleich auf die Socken machen müssen. Sie können bei der Gelegenheit meine Anweisungen an die Gendarmerie und die Küstenwache auch persönlich überbringen. Pierre, haben Sie eine Karte von der Gegend hier? Wenn nicht, muß ich Sie bitten, ihr Kunstwerk von gestern noch mal zu zeichnen!"

Deltompe hatte eine Karte und breitete sie auf dem Tisch aus. Berteau fuhr mit dem Finger über die Karte: " Zunächst zu unserer Marine. Die beiden Boote sollen mit der Nachmittagsflut auslaufen und so weit draußen ankern, daß sie auch bei Ebbe genug Wasser unter dem Kiel haben. Nicht, daß wir da eine unliebsame Überraschung erleben.

Dabei sollen sie so weit von der Ile oubliée wegbleiben, daß sie von dort aus nicht erkannt werden können. Ich denke, das Boot von St.Lunaire sollte hier irgendwo in Deckung dieser Inseln" , er zeigte auf einen Punkt nördlich ihres Standorts, "das zweite Boot hier irgendwo vor dem Pointe de St.Cast auf der Lauer liegen. Das zweite soll vor allem sicherstellen, daß unsere Freunde nicht versehentlich nach Westen entwischen.

Beide sollen mit dem Nahbereichsradar bei Dunkelheit den Bereich um die Ile oubliée beobachten und jede Bewegung hierher melden.

Zugriff erst auf mein Kommando und erst kurz bevor die Ganoven die Küste erreichen. Sofern es nicht sowieso zu ihrer Ausstattung gehört, soll man die Boote mit Mobiltelephonen ausrüsten. Der Umweg über den Küstenfunk ist zu aufwendig. Und lassen Sie sich die Rufnummern geben.

Die Gendarmerie soll durch eine Gruppe unauffällig den Parkplatz beobachten lassen, auf dem wir gestern zuerst geparkt hatten. Ich nehme an, daß dort irgendwann in der Nacht der bewußte Kastenwagen abgestellt wird. Auch hier nur Zugriff auf mein Kommando. Die Ganoven haben sicher irgendwelche Lichtsignale untereinander auszutauschen, und das sollen sie bis zum Showdown ungestört tun. Noch Fragen?"

Berger schüttelte den Kopf. Berteau fuhr fort: "Wenn es irgendwie machbar ist, nehmen Sie den Wagen Ihrer Freundin. Wenn ich das richtig verstanden habe, muß der sowieso aufgetankt werden. Machen Sie das ruhig auf meine Rechnung, aber gegen Quittung! Und besorgen Sie noch ein paar Flaschen Wein und vor allem Sonnenöl. Ich spüre die Sonne jetzt schon auf meinen Schultern und ich fürchte, ich werde morgen aussehen, wie ein frischgekochter Hummer.

 

Nehmen Sie Ihren eingefärbten Marylin-Monroe-Verschnitt am Besten mit, nicht daß mir die Kleine noch die Augen auskratzt, weil ich Sie schon wieder ihrem Einfluß entziehe"

Berger bekam rote Ohren und zog ab. Er war schon einige Meter entfernt, da rief ihm der Kommissar noch scherzhaft nach: "Falls ihre Xanthippe wieder aufmüpfig wird, bestellen Sie Ihr einen schönen Gruß von mir. Ihre natürliche Haarfarbe steht ihr sicher besser, als dieses aufgepappte Blond"

Es entging ihm, daß Henriette nur wenige Meter entfernt zwischen zwei Zelten stand und seine letzten Sätze mitbekam. Sie biß sich wütend in die Faust. "Na, warte", knurrte sie, "das wird noch Folgen haben."

*****

Eine Viertelstunde später zog das Pärchen ab. Berger trug jetzt wieder seine ausgefransten Bermudajeans und ein grellbuntes Hemd. Henriette hatte sich in hautenge Jeans und ein ebenso knapp sitzendes T-Shirt gezwängt. Berteau sah sich versucht, hinter ihr herzupfeifen, unterdrückte die Anwandlung aber. Berger mochte seinerseits durchaus auch von Eifersuchtsproblemen geplagt werden.

Berteau machte sich daran, seine Stativ-Fernglas-Kombination zu installieren, um die unterbrochene Beobachtung der Ile oubliée fortzusetzen. Er war im Nu von einer Schar Kinder umringt, die neugierig nach dem Sinn der Unternehmung fragten.

Um die Wichtigkeit seiner Ak-tion zu untermauern, erzählte er eine wilde Agentenstory mit finsteren Figuren und geheimnisvollen unterirdischen Aktivitäten. Die Kinder fanden es aufregend, in so eine geheimnisvolle Sache eingeweiht zu werden und boten sich an, Berteau bei der Beobachtung zu unterstützen.

Berteau wollte kein Spielverderber sein. Er nahm sowieso nicht an, daß die Begeisterung lange anhalten würde, da ja nach seinen eigenen Berechnungen sich in den nächsten Stunden nichts rühren würde. So schärfte er seinen kleinen Helfern ein, die Insel dürfte keinen Moment aus den Augen gelassen werden und das Fernglas auf keinen Fall verändert.

Ansonsten sollten sie sich -wegen der Ermüdung der Augen- alle Viertelstunde in der Beobachtung ablösen und ihn unverzüglich verständigen, sobald sich etwas tun würde. Er nahm an, auf diese Art und Weise möglichen Streitereien vorgebeugt und, vor allem, jedem Beobachter die Wichtigkeit seiner Tätigkeit eingeimpft zu haben. Daß die urlaubsreifen Eltern, weil er ihnen die Rangen für Stunden vom Hals geschafft hatte, ihn in ihr Abendgebet aufnehmen und überlegen sollten, ob sie ihn nicht als den 14 445. Heiligen vorschlagen sollten, war ihm dabei allerdings nicht bewußt.

Er selbst zog sich einige Meter zurück und genoß die Sonne. Ein Trio, bestehend aus zwei jungen Frauen um die zwanzig und einem deutlich älteren Herren forderte ihn auf, mit ihnen ein gemischtes Doppel Beach- Volleyball zu spielen. Berteau machte sich so seine Gedanken um die wechselseitige Beziehung unter den dreien, willigte dann aber nach einigem Zögern ein.

Die ungewohnte Bewegung brachte ihn ziemlich außer Atem, und die Tatsache, daß er im Laufe des Spiels mehrmals seiner Partnerin zwangsläufig für seinen Geschmack unschicklich nahekam, bewog ihn dazu, es bei einem Satz zu belassen. Er kannte das Spiel bisher sowieso nur aus dem Fernsehen und ging logischerweise mit seiner Partnerin mit wehenden Fahnen unter.

Das Boule-Spiel der älteren Herren sagte ihm da schon eher zu. Er beteiligte sich einige Runden an ihrem Spiel, doch die alten Füchse tricksten ihn ein ums andere Mal aus. Außerdem spielten sie jedesmal um eine Runde Pastice, die der auszugeben hatte, der die schlechteste Kugel geworfen hatte. Berteau fühlte den Alkoholpegel in sich steigen und fürchtete bei weiterer Teilnahme am Spiel um seine Einsatzbereitschaft.

Sporadisch sah er auf dem Ausguck nach dem rechten und wunderte sich über den Eifer der Gören. Teilweise hatten sie von ihren Eltern weitere Ferngläser besorgt, und die Überwachung der Insel war im Moment mindestens vierfach besetzt.

*****

Nach zweieinhalb Stunden waren Albert und Henriette zurück. Berteau erkannte Henriette erst auf den zweiten Blick. Sie hatte die Gelegenheit benutzt und war in St. Malo beim Friseur gewesen und hatte sich die Haare umfärben lassen. Sie trug jetzt ein dunkles Braun und das mochte ihrer natürlichen Haarfarbe entsprechen. Berteau fand, daß es ihr besser stand, als das aufgesetzte Blond vom Vormittag.

Sie zogen sich zur Lagebesprechung in Berteaus Leihzelt zurück. Henriette blieb unaufgefordert dabei, und Berteau nahm an, daß sie mittlerweile in die wichtigsten Details ihres Falls eingeweiht war. So nahm er ihre Anwesenheit einfach als gegeben zur Kenntnis.

Die Dienststellen in St.Malo hatten ihre Arrangements nach Berteaus Wünschen zugesagt. Die Batterie des Handys war ausgewechselt und sollte es die nächsten vierundzwanzig Stunden tun. Berger übergab Berteau eine Liste mit Rufnummern für die Einsatzkräfte und die Ergänzung der Weinvorräte.

Berteau berichtete seinerseits, wie es ihm in der Zwischenzeit ergangen war und wies Berger an, sich am Nachmittag schwerpunktmäßig um den Ausguck zu kümmern. In der Phase, die er für die heiße hielt, so ab siebzehn Uhr, wollte er das wieder selbst übernehmen.

Berger war instruiert und schickte sich an, sich zurückzuziehen. Henriette machte jedoch keine Anstalten. Berteau betrachtete sie stirnrunzelnd. "Ist noch was, Mademoiselle?"

"Oh, ja, Monsieur Armand,", sagte sie mit Genuß, "da ist noch was!" Sie kramte aus ihrer Handtasche ein Bündel Quittungen hervor. "Albert ist ein patenter Junge, aber in der Durchsetzung seiner eigenen Angelegenheiten leider völlig hilflos. Im Moment ist er reichlich knapp bei Kasse, weil er das ganze Wochenende für Sie Besorgungen erledigt hat, ohne daß Sie ihn ausgezahlt haben. Ich mußte ihm heute schon unter die Arme greifen. Wenn ich Sie also um den Ausgleich Ihrer Verbindlichkeiten bitten dürfte!"

Sie hielt Berteau die Quittungen unter die Nase. Berger war die Geschichte peinlich. Er trat am Zelteingang von einem Bein auf das andere und hätte sich ein Mauseloch gewünscht, um darin zu verschwinden. Berteau war die Mahnung nicht weniger unangenehm. Da er nicht wußte, was er antworten sollte, nahm er Henriette die Quittungen ab und blätterte diese durch, um Zeit zu gewinnen.

"Oui, Mademoiselle Henriette," seufzte er, "Ihre Mahnung besteht natürlich zurecht, und Albert hätte sein Geld schon lange selbst einfordern sollen. Aber sagen Sie", er fischte einen Zettel aus dem Stapel, " was hat es damit auf sich?" Mit spitzen Fingern hielt er eine Rechnung eines Coiffeursalons aus St. Malo über dreihundertzwölf FF am ausgestreckten Arm.

 

 "Oh, das hat, glaube ich, schon seine Richtigkeit." Henriette kokettierte mit unschuldigem Augenaufschlag und fuhr sich mit der Hand durch die neue Frisur. "Da war doch jemand, der dringend Wert darauf legte, daß eine gewisse Xanthippe sich eine andere Haarfarbe zulegt, oder?"

Berteau gab sich geschlagen. Murrend kramte er aus seinen Sachen zwei Fünfhundert-FF-Scheine und übergab sie Henriette. "Das sollte wohl reichen. Sagen sie, Mademoiselle Gerichtsvollzieherin, was treiben Sie eigentlich, wenn Sie nicht für ihren Verlobten Schulden eintreiben?"

Sie bildete aus den Geldscheinen einen Fächer und wedelte sich Luft zu: "Nun ich studiere in Rennes." Sie hielt einen Moment inne und überlegte, ob sie ihre Fachrichtung hinzufügen sollte, unterließ es dann aber. Statt dessen sagte sie: " Was meinen Sie, Monsieur le Commisaire, wollen wir das Kriegsbeil nicht vorläufig begraben?"

Der Kommissar nickte schwach. Henriette hakte bei ihrem Albert unter. " Na siehst Du", sagte sie an seine Adresse und zog ihn aus dem Zelt.

*****

Yvonne Deltompe war erfreut darüber, daß es hier draußen im Camp jemand gab, der ihre Küche zu schätzen wußte. Deshalb duldete sie überhaupt keinen Widerspruch, als sie Berteau zum Essen rief. Einerseits war es dem Kommissar nicht unrecht, denn die Sichtung seiner, von Berger eingekauften Vorräte, hatte nicht gerade seine Begeisterung geweckt. Andererseits machte er sich langsam Sorgen darüber, wie er sich bei den Deltompes jemals revanchieren sollte.

Nach dem Essen machte er ausgiebig Siesta und wies alle Bemühungen des Nudistenvölk-chens, ihn an dessen Freizeitaktivitäten zu beteiligen, strikt zurück. Als die näherrückende Wasserlinie das Einsetzen der Nachmittagsflut ankündigte, setzte er sich nahe des grünen Tangstreifens, den die letzte Flut hinterlassen hatte, in den Sand und beobachtete fasziniert, wie das Wasser brodelnd und glucksend die Prile füllte. Er wettete mit sich selbst, ob die jetzige Flut den Höchststand der letzten überschreiten würde oder nicht.

Henriette suchte ihn auf und brachte ihm die Flasche mit Sonnenöl, die Berger zu übergeben vergessen hatte. Sie bot sich an, ihm den Rücken einzucremen.

Berteau wollte die alten Kampfhandlungen nicht wieder aufnehmen und ließ sie gewähren. Sie machte es sehr routiniert. Als sie sich jedoch von den Schultern her bis auf die Höhe seines vierten Lendenwirbels vorgearbeitet hatte, hielt er es für besser, die Prozedur abzubrechen. Er bedeutete ihr, den Rest könne er schon allein, und sie verzog sich schmollend.

Er vergaß fast, warum er hier war und mußte durch eines der Kinder, das ihn darauf aufmerksam machte, daß sich bei der Insel etwas tat, in die Wirklichkeit zurückgeholt werden. Er begab sich zum Ausguck und spähte durch das Fernglas.

Etwa einen halben Kilometer vor der Insel kreuzte ein Fischerboot. Die Besatzung, drei Mann, soweit Berteau erkennen konnte, war sichtlich bemüht, den jetzt unter dem Wasserspiegel liegenden spitzen Felsenriffen auszuweichen und dabei näher an die Insel heranzukommen.

Berteau beobachte die Bemühungen der Männer, bis das Boot hinter der Klippe verschwand, hinter der sich der alte Hafen der Insel verbergen mußte.

Er schickte eines der Kinder zu Berger, um ihn herbeiholen zu lassen.

*****

Zwei Stunden später meldeten die Boote der Küstenwache, daß sie ihre vorgesehene Position eingenommen hatten. Die Besatzung des ostwärts gelegenen Bootes hatte über Radar die Annäherung des "Zielobjektes" an die Insel beobachtet und war sich sicher, es auch beim Verlassen wieder aufzuspüren.

"Die Maus hat sich in die Falle begeben und steckt jetzt für mindestens acht Stunden fest", resümierte Berteau. "Erst dann ist der Wasserstand wieder hoch genug, daß sie es riskieren kann, die Insel wieder zu verlassen". Er rieb sich zufrieden die Hände.

Dennoch wollte er sich die durchgehende Beobachtung der Insel in zweistündigem Wechsel teilen. Deltompe machte jedoch nach Rücksprache mit seinen Freunden den Vorschlag, die Campbesatzung in die Beobachtung mit einzubeziehen. So könne man sich stündlich ablösen und jeder Posten kämme nur ein einziges mal an die Reihe.

Berteau nahm das Angebot dankend an. Schließlich wollte er den kommenden Einsatz einigermaßen ausgeruht leiten. Und der Abenteuerlust der Nudisten aus sicherer Entfernung war auch Genüge getan.

Mit der untergehenden Sonne zog Bewölkung auf. Berteau hatte Sorge, daß ihnen schlechtes Wetter einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Aber ein Anruf bei der nächsten Seewetterstation beruhigte ihn. Es wurde zwar der Durchzug eines größeren Wolkenfeldes erwartet, aber keine Niederschläge und schon gar kein Nebel..

Nach Einbruch der Dunkelheit meldete sich die Gendarmeriegruppe, die den Parkplatz überwachen sollte. Berteau war überzeugt, an alles gedacht zu haben, und genoß den angenehmen Teil des Abends. Der lag einerseits darin, daß es in der Abendkühle im Camp erlaubt war, sich angemessen zu bekleiden. Zum Anderen spielte er mit Deltompe und ein paar anderen Leuten eine Partie Bridge, und das war eine Disziplin, in der er den anderen über war. So hatte er Gelegenheit, sich für die Blamage beim Boule zu revanchieren.

Gegen zweiundzwanzig Uhr zog er sich in sein Zelt zurück, um eine Mütze voll Schlaf zu nehmen.

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