Montag, 6. Mai
Berteau beglich die Rechnung des Hotels nur insofern, als daß er sie unterschrieb und den Portier anwies, sie direkt an die Präfektur in Lorient zu schicken. Mochte dieser sich Gedanken darum machen, ob sie bezahlt wurde oder Pompidou sich, aus welchem Haushaltstitel sie zu bestreiten war. Der Hotelangestellte zog zunächst ein säuerliches Gesicht, aber zwei Hundert FF- Scheine als Trinkgeld überzeugten ihn von der Rechtmäßigkeit von Berteaus Entscheidung. Berteau verschwendete einen halben Gedanken daran, wie leichtglaübig und bestechlich
die Menschen doch waren.
Le Sauvage schlief noch immer seinen Rausch aus und war nicht wachzubekommen. Berteau hinterließ die Anweisung, den Maler bis kurz vor Mittag schlafen zu lassen und ihn dann hinauszukomplimentieren. Er nahm an, daß der Wilde, bargeldlos, wie er war, schon von alleine auf die Idee kommen würde, sich bei ihm in der Gendarmerie zu melden.
Berteau fand, er habe sich nun eigentlich genug in St.Malo herumgetrieben, und beschloß, unmittelbar nach dem Eintreffen von <la Tempête> nach Lorient zurückzukehren. Den Rest hier, das Sichten und Identifizieren des Diebesguts, das Weiterleiten an die jeweiligen Eigentümer und das Sichern von prozessrelevantem Beweismaterial, konnte genau so gut der zuständige Staatsanwalt erledigen.
So verbrachte er den Vormittag damit, einen möglichst ausführlichen Bericht zum Sachstand des Falls "Kirchenraub" abzufassen, während Berger den Abtransport des bereits sichergestellten Diebesguts in die Asservatenkammer der örtlichen Justiz beaufsichtigte. Außerdem gab er die bei der Gendarmerie im Laufe des Wochenendes ausgeliehenen Ausrüstungsgegenstände zurück.
Henriette, die Berger wie besprochen gegen neun Uhr bei der Gendarmerie abgeliefert hatte, war nach melodramatischem und tränenreichen Abschied mit ihrem 2CV Richtung Lorient abgedüst.
Gegen dreizehn Uhr begann Berteau den Wilden zu vermissen, und er ließ im Hotel du Port nachfragen, wo dieser denn abgeblieben war. Er erhielt die Auskunft, le Sauvage habe das Hotel kurz nach halb zwölf verlassen, nachdem er sich an der Rezeption nach einer Zugverbindung nach Lorient erkundigt hatte. Der Kommissar runzelte die Stirn. So richtig konnte er die Handlungsweise des Malers nicht nachvollziehen. Nun, er hoffte, le Breton würde wirklich nach Lorient fahren und nicht, wie schon früher gelegentlich, für längere Zeit verloren gehen.
Den Nachmittag verbrachten sie mit ungeduldigem Warten. Mit der Rückkehr des Küstenwachbootes von der Ile oubliée war nicht vor neunzehn Uhr zu rechnen. Berteau wollte jetzt keine Minute mehr länger in St.Malo zubringen, als unbedingt erforderlich war. Über Küstenfunk ließ er sich mit dem Kommandanten des Wachbootes verbinden und fragte nach dem augenblicklichen Sachstand. So erfuhr er, daß <la Tempête> sichergestellt und augenscheinlich in gutem Zustand war. Berteau spielte den Termingeplagten und vereinbarte mit dem Kommandanten, das Gemälde direkt im Hafen zu übernehmen, während die örtlichen Behörden sich um den Abtransport der übrigen Beute kümmern sollten.
Es passierte Berteau eigentlich selten, aber gelegentlich wurde er von einer Migräne-Attacke angefallen und bekam dann nachhaltigen, stechenden Kopfschmerz dicht über dem linken Auge. Wenn er mit zwei Aspirin rechtzeitig gegensteuern konnte, verliefen diese Anfälle normalerweise glimpflich. Allerdings, bis die Tabletten ihre Wirkung taten, war er ausgesprochen reizbar und reagierte gegenüber seiner Umwelt ungnädig. Heute war so ein Tag, und Berger bekam die üble Laune seines Vorgesetzten zu spüren.
Nachdem ihn Berteau ohne erkennbaren Grund mehrmals angefaucht hatte, zog der Gendarm es vor, seinem Kommissar möglichst aus dem Weg zu gehen. So beschäftigte er sich damit, das Gepäck im Wagen zu verstauen. Er war sich nicht ganz im Klaren darüber, wie Berteau Le Sauvages Machwerk transportieren wollte und zog einen Zollstock zu rate. Mit dem Transport eines plattenförmigen Gegenstandes von einszehn mal einssiebzig, der obendrein weder gebogen noch gedrückt werden durfte, war mit einem Pkw die Grenze des Möglichen bald erreicht.
Berteaus Vorliebe für Kombifahrzeuge zahlte sich hier aus. Berger kam zu dem Schluß, daß nach Umklappen der Rückbank und gleichmäßiger, flacher Verteilung des übrigen Gepäcks <la Tempête> so knapp unterzubringen sein würde, allerdings nur, wenn der Kommissar sich mit seiner Schätzung der Abmessungen nicht nach unten geirrt hatte. So gut es ging, schuf er mit dem übrigen Gepäck eine annähernd ebene Auflage für das erwartete Bild. Nur Berteaus neuerstandene Staffelei war irgendwie immer im Wege, egal wie er sie unterbrachte.
Die Zeit bis achtzehn Uhr verbrachte er danach in einem Café unweit der Gendarmerie, um sich nicht noch mehr den Launen seines Vorgesetzten auszusetzen. Im Moment war es ihm völlig schnuppe, ob dies dem Kommissar gefallen würde oder nicht. Er fand, dieses Wochenende war sowieso schon so viel schief gelaufen, daß es auf einen Anschiß mehr oder weniger auch nicht mehr ankam.
*****
Berger holte Berteau kurz nach achtzehn Uhr bei der Gendarmerie ab. Die Aspirin hatten ihre Wirkung getan und Berteaus Kopfschmerzen waren auf ein erträgliches Maß abgeklungen. Er wußte, daß er mit seinen Ausfällen vom frühen Nachmittag Berger ungerecht behandelt hatte und vermied, um die gereizte Stimmung nicht noch weiter anzuheizen, bewußt, seinen Assistenten zu fragen, wo er sich die letzten drei Stunden herumgetrieben hatte.
Berteau übergab dem Diensthabenden den Schlüssel des Bureaus, das sie benutzt hatten und meldete sie ab. Zwei Beamte, die einen Mannschaftswagen der Gendarmerie zum Hafen fahren sollten, um die Beute vom Wachboot zu übernehmen, eskortierten sie beim Verlassen des Gebäudes.
Der Kommissar bedeutete den beiden, sie möchten als Ortskundige zum Hafen vorausfahren. Dennoch blieben sie in einem durch einen Unfall verursachten Stau hängen und kamen gerade noch rechtzeitig an der Mole an, um das Anlegemanöver des Küstenwachbootes zu beobachten.
Berteau verhandelte kurz mit dem Kommandanten und unterschrieb diesem eine Quittung für das Bild. Zwei Beamte trugen es an Deck Es war sorgsam in Plasticfolie eingewickelt worden. Sie hievten es über die Reling, wo es von Berger übernommen wurde.
So vorsichtig, wie es ging, schob er es durch die offene Heckklappe des Kombis. Er hatte es geahnt! Um das Bild einfach nur flach zu legen, war es drei oder vier Zentimeter zu lang. Er mußte es vorne hochkanten und mit dem Rahmen hinter den Kopfstützen der Vordersitze auflegen, sonst würde sich die Heckklappe nicht schließen lassen. Berger ging um das Auto herum zur Beifahrertür, beugte sich ins Fahrzeug hinein und zog das Gemälde zu sich heran, so daß es jetzt eine nach hinten abfallende schiefe Ebene bildete. Dann ging er wieder nach hinten, um die Klappe zu schließen.
Was er übersah, war die Tatsache, daß das Bild mit der hinteren rechten Ecke auf dem glatten Holz von Berteaus Staffelei auflag. Die kleine Erschütterung, die er mit dem Nach-Unten-Drücken der Heckklappe verursachte, reichte aus, um das Gemälde zwei Zentimeter nach hinten rutschen zu lassen. Der hölzerne Spannrahmen verklemmte sich zwischen Klappe und Staffelei, und als die Hecktür sich schloß, knackte es laut und vernehmlich.
Berteau war mittlerweile herangekommen und hatte seinem Assistenten interessiert bei der Arbeit zugesehen, ohne ihn jedoch in irgend einer Weise zu unterstützen. Das Knacksen des Spannrahmens versetzte ihm einen Stich bis ins Herz.
"Passen Sie doch auf, Sie Tölpel", fuhr er Berger an, "Sie transportieren hier ein Kunstwerk, keinen Sperrmüll. Allez, allez, machen Sie noch einmal auf!"
Berger warf dem Kommissar einen bösen Blick zu. Es wurde Zeit, daß diese Zusammenarbeit sich dem Ende zuneigte. So langsam hatte er die Launen des Anderen satt. Wortlos öffnete er die Heckklappe des Volvos erneut und trat zur Seite.
Berteau zog ein Taschenmesser heraus und schlitzte die Verpackung des Bildes an der Stelle auf, an der der hölzerne Spannrahmen jetzt einen sichtbaren Knick aufwies. Er schlug die Folie beiseite und betrachtete sich den Schaden. Der kurze Rahmenschenkel auf dieser Seite war hinüber, aber das war nicht weiter schlimm, das war zu reparieren. An der Ecke jedoch war ein unregelmäßig geformtes, etwa fünffrancstück großes Stück Farbe abgeplatzt. Die Leinwand selbst schien unverletzt. Nun, auch diesen Schaden konnte man kaschieren, allerdings würde Le Sauvage seine reine Freude daran haben.
Berteau fuhr mit dem Finger prüfend über die beschädigte Stelle und stutzte. Er hatte erwartet, die doch einigermaßen rauhe Oberfläche der grundierten Leinwand zu ertasten, die man normalerweise sogar durch die Farbschicht eines fertigen Bildes spüren konnte. Statt dessen hatte er das Gefühl, mit den Fingerkuppen über etwas zu streichen, das sich wie eine Wachsschicht anfühlte oder wie die Oberfläche eines frisch geputzten und polierten Lackschuhs. Und überhaupt, kam ihm in den Sinn, wieso kann von einer normal grundierten Leinwand die Farbe großflächig abplatzen? Eigentlich sollte man doch erwarten, daß sie krümelt, wenn schon überhaupt.
Interessiert zog er das Bild ein Stück aus dem Fahrzeug heraus, um besseres Licht zu haben. Er untersuchte die Ecke genauer. Tatsächlich, unter Le Sauvages <la Tempête> befand sich nicht die erwartete Leinwandgrundierung, sondern eine hauchdünne, etwas matte, aber immerhin durchsichtige Schicht aus einem vorerst nicht identifizierbaren Material. Sie mochte aus Wachs sein, konnte aber genau so gut aus PVC- Kunststoff oder etwas ähnlichem bestehen.
Seit Jahrhunderten benutzen Maler zum Grundieren ihrer Leinwand ein kräftiges, leuchtendes Weiß. Auch heute, im Zeitalter der industriellen Fertigung und Grundierung von Malerleinwand, wird dies nicht anders gemacht, mal abgesehen davon , daß die Grundierung nicht mehr von Hand aufgetragen wurde. Wenn Berteau jetzt erwartet hatte, wenigstens unter der wachsartigen Schicht weiße Grundierung durchschimmern zu sehen, so sah er sich getäuscht. An der Stelle, an der <la Tempête> beschädigt war, leuchtete ein kräftiges strukturiertes Rot, eindeutig mit einem Pinsel aufgetragen.
Berteau war sich sicher: Unter <la Tempête> verbarg sich ein anderes Gemälde!
"Kasurintin, ich hätte es ahnen müssen!" , seufzend lehnte sich Berteau an den Volvo. Dann sah er Berger anklagend an:
" Hören Sie, Monsieur Korporal. Ich entschuldige mich nachdrücklich für jeden blauen Fleck, den ich Ihrer empfindsamen Seele in den letzten Tagen zugefügt habe. Sie sind ein Genie, Mann! Ich möchte annehmen, daß Sie durch Ihre kleine Unachtsamkeit gerade den Fall "Alte Meister" zu mindestens fünfzig Prozent aufgeklärt haben! Kommen Sie, helfen sie mal!"
Er zerrte an dem Gemälde, um es noch einmal ganz aus dem Fahrzeug zu holen. Die Gendarmen, die noch mit dem Umladen der übrigen Beute beschäftigt waren, stellten ihre Arbeit vorübergehend ein und sahen interessiert herüber.
Berger wußte nicht, wie ihm geschah, aber er faßte jetzt mit an und gemeinsam holten sie das Bild aus dem Auto und legten es umgekehrt auf das Wagendach. Berteau schlitzte jetzt die Verpackung noch weiter auf und legte die Rückseite des Bildes bloß. Dann untersuchte er die Leinwand .
"Wie ich es mir gedacht habe", sagte er zu Berger, "Nun, fällt Ihnen etwas auf?"
Berger sah den Kommissar fragend an und zuckte mit den Schultern. Berteau tippte sich mit dem Finger an die Stirn: "Ach so, ich vergaß! Eigentlich bin ja ich der Fachmann. Schauen Sie doch mal bei meinen Malsachen nach, da muß ein Stück unbenutzte Malerleinwand dabeisein. Benutzen wir das als Vergleichsstück."
Berger, der das Gepäck ja verstaut hatte, fand das Verlangte nach kurzer Suche. Berteau rollte das Stück neuer Leinwand aus und legte es mit der Rückseite nach oben neben das Stück freigelegte Rückseite von <la Tempête>. "Nun, vergleichen Sie", forderte er Berger auf, "Achten Sie nicht auf die Farbe, nur auf die Struktur. Fällt ihnen was auf?"
Bergers Blick glitt prüfend über die Gewebe: "Nun", sagte er zögernd, "das hier", er zeigte auf die unbenutzte Leinwand, " dürfte eindeutig industriell auf einer modernen Maschine gewoben sein.. Das Gewebe ist so regelmäßig, daß man, wäre es nicht so brettartig steif, sich fast ein Hemd daraus schneidern lassen könnte. Das hingegen", er betastete <la Tempête> mit den Fingerspitzen, "ist zwar auch fein, aber gemessen am anderen irgendwie rauh und unregelmäßig. Und das sowohl, was die Fadenstärke, als auch die Machart betrifft. Man könnte vermuten, daß diese Leinwand nach heutigem Ermessen auf einem sehr primitiven Webstuhl hergestellt wurde."
Berteau nickte zufrieden. " Gut erkannt, man muß das im Labor untersuchen, aber ich glaube jetzt schon sagen zu können, daß diese Leinwand hier", er hob <la Tempête> leicht an, "mindestens hundertfünfzig Jahre alt ist. Was bringt also Le Sauvage dazu, wenn er schon nicht fälscht, seinen Schinken auf so alte Leinwand zu malen? Abgesehen davon, selbst wenn man so etwas heute überhaupt noch bekommt, für le Breton wäre es bei seinen derzeitigen Verhältnissen unbezahlbar!
Ich will es Ihnen sagen! Helfen Sie mal beim Umdrehen". <la Tempête> wurde mit vereinten Kräften erneut gewendet und Berteau kreiste mit dem Zeigefinger die beschädigte Stelle ein. "Sehen sie genau hin. Unter le Bretons Gewitterstimmung ist ein anderes Bild versteckt. Ich fresse Ihre Dienstmütze mit Ketchup, wenn das nicht einer unserer neun geklauter alter Meister ist. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich denke, von den Abmessungen her ist es die zuletzt verschwundene Strandszene dieses unbekannten Bretonen."
Berger sah den Kommissar entgeistert an: " Aber, das würde ja bedeuten, daß das ursprüngliche Bild auf der Leinwand für alle Zeiten ruiniert ist!"
Berteau gab sich einen Ruck: "Ach, woher denn? Haben Sie eine Ahnung, was man heutzutage alles wieder freilegen und restaurieren kann, was ursprünglich gar nicht dafür vorgesehen war! Da bedeutet es schon gar kein Problem, wenn man das von vornherein beabsichtigt hat. Kommen Sie, packen wir zusammen, ich erkläre Ihnen das unterwegs."
*****
Während Ihrer Entdeckung im Hafen hatte die Dämmerung eingesetzt, und als sie jetzt St.Malo in südlicher Richtung verließen, war es bereits stockfinster. Berger fuhr, und solange sie sich noch durch den Stadtverkehr quälten, mußte er sich zu sehr auf den darauf konzentrieren, als daß er hätte Fragen stellen können. Berteau nutzte die Gelegenheit, um sich im Geiste seine nächsten Schritte zurechtzulegen.
Erst als sie die RN 766 erreichten, versuchte Berger Fragen zu stellen, doch Berteau bedeutete ihm, sich noch etwas zu gedulden.
"Erst muß ich mal telephonieren", sagte er, "wo ist das Handy?"
Berger zeigte auf das Handschuhfach, dann zuckte er zusammen. " Au, Merde", knurrte er, "das zweite Handy hat immer noch Le Sauvage. Der wird sich doch nicht damit aus dem Staub machen wollen?"
Berteau schien diese Information nicht ungelegen zu kommen. Er nickte: "Na immerhin gibt er uns einen fadenscheinigen Grund, ihn vorläufig festzunageln, ohne daß damit sofort alle Beteiligten wissen, warum wir ihn aus dem Verkehr ziehen."
Er zog ein Notizbuch hervor und suchte die Nummer des Präfekten von Lorient, Monsieur Pompidou heraus. Dann begann er umständlich zu wählen.
Pompidou saß mit seiner Familie um diese Zeit beim Abendessen und war über die Störung ziemlich ungehalten. Als sich jedoch Berteau am anderen Ende der Verbindung meldete, zwang er sich, wenn auch mit leise bebender Stimme, zu dem Maß an Freundlichkeit, das er gegenüber einem Mann für notwendig hielt, der in Paris hohe Protektion zu haben schien.
Berteau wollte unnötige Diskussionen vorneweg vermeiden und sah sich trotz der öligen Zugänglichkeit des Präfekten veranlaßt, andeutungsweise auf seine Vollmachten zu verweisen.
"Monsieur le Préfet", log er dann, "ich hätte mich ja gerne an Hauptkommissar Lacroix gewandt, aber ich kann ihn derzeit nicht erreichen. Und meine Angelegenheit duldet keinen Aufschub. Außerdem", er kam zu dem Entschluß, daß es nicht schaden konnte, Pompidou etwas Honig in den Bart zu schmieren, "denke ich, daß meine Wünsche bei einem Mann Ihres Einflusses in besseren Händen sind, als in denen eines subalternen Abteilungsleiters.
Monsieur le Préfet, ich befinde mich gerade auf dem Weg nach Lorient, und ich habe hier im Wagen ein Beweismittel, das dringend einer eingehenden Untersuchung bedarf. Nein, keine herkömmliche Laborarbeit, ich muß das selber machen. Aber ich benötige dazu eine Anzahl von Geräten, die ich Sie bitten muß, bis morgen Neun Uhr in meinem Bureau bereitstellen zu lassen. Es ist sicher nicht ganz einfach, die Teile zu besorgen, aber sie haben doch Beziehungen zur Armee oder zur Marine, oder?
Nun, ich brauche zunächst eine Ultraviolettlampe, so zwischen sechzig und hundert Watt Leistung, desgleichen eine Lampe im Infrarotbereich. Das dürfte noch am einfachsten sein!
Das nächste ist ein Infrarot-Nachtsichtgerät mit einem sogenannten Restlichtverstärker, wie es die Armee verwendet. Zur Not tut es auch ein IR- Zielgerät von einem Scharfschützengewehr.
Ach ja, ich möchte Sie bitten, sich im Fachhandel für einen Tag eine mobile Klimaanlage auszuborgen, mit der es möglich ist, die Raumtemperatur meines Bureaus vorübergehend auf etwa zwölf Grad Celsius herabzukühlen. Des Weiteren muß die Möglichkeit geschaffen werden, meinen Raum vorübergehend komplett zu verdunkeln.
Noch etwas, Monsieur le Préfet. Ich muß Sie bitten, umgehend jemanden nach Guidel Plage hinauszuschicken, wo der Maler Kasurintin le Breton ausfindig zu machen ist. Der Mann muß vorläufig festgenommen und bis zu meinem Eintreffen im Commissariat Central festgehalten werden. Grund der Festnahme? Nun sagen wir mal, Unterschlagung eines polizeieigenen Mobiltelephons, man wird es sicher bei ihm finden!
Haben Sie alles? Au revoir, Monsieur le Préfet, ich wünsche noch einen schönen Abend! Ja, ich erstatte Ihnen dann Bericht"
Berteau unterbrach die Verbindung. Berger schielte zu ihm hinüber und hob fragend die Augenbrauen.
Der Kommissar verstaute das Handy, dann wandte er sich an seinen Assistenten.
"Nun zu Ihrer Entdeckung. Ich muß vorausschicken, daß die modernen Methoden der Restaurationstechnik schon lange Mittel kennen, um übermalte Bilder, etwa Fresken in alten Kirchen, wieder hervorzuholen und zu konservieren. Mir ist zumindest ein Fall bekannt, bei dem in einer romanischen Kapelle vier übereinanderliegende Schichten von Fresken unterschiedlichen Alters gefunden und allesamt gerettet wurden. Das setzte allerdings voraus, daß die obenliegenden Schichten in einem aufwendigen Verfahren abgetragen wurden, ohne sie dabei zu zerstören. Entscheidend für die Möglichkeit, das zu tun, ist allerdings die Voraussetzung, daß zwischen
den einzelnen Übermalungen eine geeignete Trennschicht angebracht wurde, die ein Ineinanderdiffundieren von alter und neuer Farbe weitgehend verhindert.
Im Falle unserer Kapelle ist das dadurch bewerkstelligt worden, daß das jeweils ältere Fresko einfach zur Grundierung weiß übergekalkt wurde, und die Kalkschicht klebte zwar am alten Bild, ging aber keine innige Verbindung mit diesem ein. Eine der Schichten wurde im Grunde dadurch abgetragen, daß man eine durchsichtige, selbstklebende Folie über das Fresko klebte und dann vorsichtig ablöste. Die Adhäsionskraft des modernen Klebers war höher als die der unter dem Fresko liegenden Kalkschicht, und nach dem Ablösen hingen die gemalten Heiligen fast unbeschädigt an der Klebeseite der Folie wie Fliegen an der Leimrute.
Und im Falle unserer Kapelle wurde bei der Übermalung sicher nicht daran gedacht, das unten liegende Bild irgendwann zu retten. Irgend ein Abt - oder Maler - oder was weiß ich wer, fand das alte Fresko irgend wann für nicht mehr zeitgemäß, und schwupp, Kalk drüber und neu angemalt und behoben war das Problem.
Was aber, wenn von vorneherein beabsichtigt ist, das untenliegende Bild irgendwann zurück ans Tageslicht zu holen, es also nur zeitweise, na sagen wir - zu verstecken?
Es bedarf eigentlich nur der Auswahl einer geeigneten Trennschicht. Ist das zu bedeckende Bild in sehr gutem Zustand, das heißt, ist die Oberfläche einigermaßen glatt und weist die Farbe keine Risse auf, genügt es im Grunde, einen dünnen Film aus säurefreiem Fett, etwa Vaseline, aufzutragen, und schon ist verhindert, daß alte und neue Farbe sich miteinander verbinden.
Ist die Struktur des abzudeckenden Bildes nicht so gut, bedarf es schon eines aufwendigeren Verfahrens. Wir kennen aus der Restaurationstechnik schon länger die Methode, zur Konservierung brüchiger Stellen mikroskopisch dünne Schichten Kunstharz aufzudampfen. Nun, Kunstharz würde sich in unserem Falle nicht eignen, weil die heute verwendeten modernen Acrylfarben auf denselben chemischen Verbindungen aufgebaut sind und sich mit der Trennschicht verbinden würden. Aber das Verfahren funktioniert genau so gut mit einer aufgedampften Stearin-, oder wie ich bei <la Tempête> vermuten würde, PVC- Schicht.
Will man also das ursprüngliche Bild wieder ans Tageslicht holen, so braucht man lediglich ein geeignetes Lösungsmittel, das zwar die Farbe des Deckbildes, nicht aber die Trennschicht angreift.
Das Verfahren hat nur einen Nachteil: Auf den glatten Trennschichten haften die Farben schlechter, als auf der strukturierten Leinwand. Solche flächigen Platzwunden, wie Sie sie bei <la Tempête> verursacht haben, sind damit zu erklären. Zum Glück für uns und unsere Ermittlungen."
Berger hatte zugehört, ohne den Kommissar zu unterbrechen. Jetzt nickte er bedächtig und sagte:
"Wissen Sie , Monsieur le Commissaire, was mir schon die ganze Zeit durch den Kopf geht? Ich frage mich, warum der Wilde ausgerechnet <la Tempête> in doppelter Ausführung gemalt hat? Wenn er von vornherein wußte, daß unser Bild hier" , er deutete mit dem Daumen nach hinten, "nur auf Zeit angelegt war, und er selbst das Bild für so gut hielt, daß es der Nachwelt erhalten werden sollte, erst dann ergibt <la Tempête> II einen Sinn."