Dienstag, 7. Mai

Kasurintin le Breton hatte eine ungemütliche Nacht in einer Zelle des Commissariats Central verbracht und war entsprechend schlechter Laune, als er gegen neun Uhr Kommissar Berteau in dessen Bureau vorgeführt wurde. Es ärgerte ihn weniger die Tatsache der Festnahme an sich, als die faule Begründung, mit der er mitten in der Nacht aus seiner Klause abgeholt worden war. In seinem Vorsatz, sich zu besaufen, hatte er einfach vergessen, das Handy an Berteau zurückzugeben, das nun der Grund für die Vorführung sein sollte.

Für sich selbst mußte er jedoch widerwillig zugeben, daß er mit dem Gedanken gespielt hatte, sang -und klanglos zu verschwinden, und die Chance des Kommissars, ihn jetzt um diese Zeit in seiner Hütte anzutreffen, gleich Null gewesen wäre.

So wünschte er Berteau offen die Pest an den Hals, als er ihm unfreiwillig gegenübertrat. Aus den Augenwinkeln stellte er fest, daß außer ihnen beiden noch Korporal Berger, sowie ein Mann in Arbeitskleidung, ein Handwerker wohl, anwesend waren.

Der Kommissar hob abwehrend beide Hände und sagte mit süffisanter Höflichkeit: "Aber, aber, Monsieur le Breton, Sie haben sich die Umstände Ihres Hierseins schon selbst zuzuschreiben. Wären Sie mit uns von St. Malo zurückgefahren, so hätte ich mich nicht auf diese Art und weise Ihres Besuchs versichern müssen. Sie sehen ja selbst", er zeigte in die Runde der in seinem Büro aufgebauten Gerätschaften, "daß sich in unserer Angelegenheit etwas tut."

Le Sauvage sah sich um. Das Fenster des Raums war mit einem dicke, schwarzen Vorhang verhüllt. Mitten im Raum hing <la Tempête> an einer Schnur von der Decke. Ein Aggregat, das allen möglichen Zwecken dienen konnte und ein Instrument, das entfernt an ein geodätisches Meßgerät erinnerte, waren in der einen Ecke aufgebaut. In der gegenüberliegenden Ecke, auf einer Kommode, entdeckte er zwei eigenartig geformte Leuchten. Die kleinere der beiden identifizierte er als Infrarotleuchte, wie sie in Arztpraxen zur Wärmebestrahlung verwendet werden.

Berteau hatte Le Sauvage die Zeit gelassen, sich umzusehen, doch jetzt fuhr er in seiner Rede fort, indem er auf das Gemälde zeigte. " Nun, wir haben drei Nachrichten für Sie, Monsieur le Breton, eine gute, eine weniger gute und eine sicher ärgerliche. Die gute Nachricht ist die, daß wir <la Tempête> sichergestellt haben! Die weniger Gute ist die, daß das Bild da links unten an der Ecke geringfügig beschädigt ist. Die ärgerliche Nachricht ist sicher die, daß diese Beschädigung uns dazu veranlaßt, im Folgenden das Gemälde etwas näher unter die Lupe zu nehmen, was zur Folge hat, daß es vorläufig weder Ihnen noch Ihrem Auftraggeber zurückgegeben werden kann."

Er machte eine kleine Pause, um dem Wilden die Gelegenheit zu geben, die Beschädigung des Bildes in Augenschein zu nehmen, doch der schien nicht interessiert. Also fuhr er fort: "Die Begutachtung des Schadens hat mich auf zwei Merkwürdigkeiten aufmerksam gemacht, die ich in den nächsten zwei Stunden zu klären gedenke. Der eine Punkt ist, daß es sich hierbei" ,er drehte <la Tempête> herum, " um eine sehr alte Leinwand handelt. Wenn man so etwas heute unbenutzt überhaupt noch bekommt, so stellt das bestimmt einem Marktwert von zwanzigtausend Francs dar.

Und da komme ich ins Grübeln. Abgesehen davon, daß die Benutzung so teurer Leinwand Ihre derzeitigen Möglichkeiten deutlich übersteigt, so hätte sie für mich doch nur einen Sinn ergeben, wenn Sie bei Ihren Fähigkeiten als Fälscher auf der alten Leinwand zum Beispiel einen Rembrandt oder so herstellen wollten.

 

Aber, so fragte ich mich zunächst, was sucht ein echter Le Breton von heute auf einer uralten Leinwand? Dann bin ich bei der Untersuchung dieser Stelle hier", er umkreiste mit den Fingern die Fläche, an der die Farbe abgeplatzt war, " zu dem Ergebnis gekommen, daß <la Tempête> nur eine Maske ist, die ein darunterliegendes anderes Gemälde verbirgt. Und ich ahne,", er ergriff von seinem Schreibtisch einen Stapel Kunstdrucke und hielt sie Le Sauvage unter die Nase, "daß es einem der neun von mir gesuchten Alten Meister zum Verwechseln ähnlich sieht. Von den Abmessungen her glaube ich auch schon zu wissen, welchem.

Nun, mein wilder Freund, ich denke nicht, daß meine Ausführungen Sie gesprächiger gemacht haben, als Sie es in den letzten Tagen waren. So werden wir <la Tempête> auffordern müssen, sein Geheimnis selbst preiszugeben. Um etwaige Schadenersatzansprüche Ihrerseits auszuschliessen, habe ich mich vorerst für zwei zerstörungsfreie physikalische Experimente entschlossen.

Auf die Gefahr hin, daß ich Sie langweile, muß ich den Anwesenden ein paar grundsätzliche Dinge erklären, damit verstanden wird, um was es geht. Wie Sie sicher wissen, besteht jenes elektromagnetische Wellenspektrum, das man gemeinhin als Licht bezeichnet, neben dem sichtbaren, auch aus zwei für das menschliche Auge unsichtbare Bereiche, nämlich dem ultravioletten und dem infraroten Bereich. Nun sind es aber gerade diese unsichtbaren Wellen, die uns mit geeigneten Hilfsmitteln Verborgenes sichtbar machen können.

Unser erstes, weil einfacheres Experiment, befaßt sich mit dem UV-Spektrum. Le Sauvage hier wird es mir sicher bestätigen, daß die Alten Meister ihre Farben in aller Regel nach geheimnisvollen Rezepturen selbst angerührt haben und dabei die abenteuerlichsten Ingredienzen zur Erzeugung bestimmter Farbtöne verwendet haben, wie Kohle, bestimmte Erden und jede Menge pflanzlicher Farbstoffe. Sie haben also ein ganzes Sammelsurium an Mineralien und Elementen zusammengetragen, und ein bestimmtes Verhalten einiger dieser Mineralien und Elemente interessiert uns hier.

Wie Sie hier auf der Rückseite des Bildes feststellen können, ist die Grundierfarbe kräftig in das Gewebe eingedrungen. Die früher benutzten Lösungsmittel bewirkten, daß Grundierung und Bildfarbe sich wechselseitig durchdrangen, was man an den über die Leinwandrückseite verteilten bunten Stellen anschaulich feststellen kann. Das heißt, daß ein definierter Teil des Bildes auf der anderen Seite, wenn auch auf den ersten Blick nicht erkennbar, auf die Rückseite durchgedrungen ist.

Strahlt man nun jene eben erwähnten Mineralien und Elemente mit hartem UV-Licht an, so tritt bei einem Teil von ihnen ein erstaunlicher Effekt auf. Die energiereiche Strahlung hebt die Atome der entsprechenden Elemente auf ein höheres , aber instabiles Energieniveau an, von dem manche sofort, manche erst später, spontan auf das alte Niveau zurückfallen. Dabei geben sie ein Energiequantum im Bereich des sichtbaren Lichts, meist gelblich-grün ab, das bedeutet, das unsichtbar angestrahlte Objekt leuchtet im sichtbaren Bereich. Je nachdem, ob er sofort eintritt oder ob das Objekt nachleuchtet spricht man von Luminiszenz oder Fluoreszenz. Je nach Massierung der betreffenden Elemente in bestimmten Bereichen müssen die Leuchteffekte in diesen Bereichen stärker oder schwächer erscheinen, will sagen, es müßte möglich sein, eine Art Phantombild der Vorderseite auf der Rückseite der Leinwand zu erzeugen.

Projizieren wir also im Geiste Le Sauvages <la Tempête> spiegelverkehrt auf die Rückseite der Leinwand, so verläuft als wahrscheinlich erkennbare Struktur etwa hier die Küstenlinie, hier befindet sich die Insel und dort spielt sich die Szene mit dem Boot ab. Befindet sich auf der Leinwand nur <la Tempête> und tritt der von mir vorausgesagte Effekt ein, so sollte sich diese Struktur luminiszierend auf der Rückseite der Leinwand wiederfinden. Zeigt sich jedoch eine andere Struktur, so liegt es daran, daß sich Le Bretons Farben wegen einer zwischen den beiden Bemalungen aufgebrachten Trennschicht nicht bis zur Grundierung durchgefressen haben, sondern jenseits der Trennschicht an der Oberfläche blieben. Das Phantombild, das wir dann sehen werden, so wir es denn sehen, stammt von einem anderen Kunstwerk.

Wenn ich jetzt also Korporal Berger bitte, das Licht auszumachen und selbst die UV-Lampe auf die Rückseite von <la Tempête> richte, so müßte sich der beschriebene Effekt einstellen. Haben Sie bitte etwas Geduld, der Leuchteffekt dürfte sehr schwach sein und für uns erst nach ein paar Minuten erkennbar, weil sich unsere Augen erst an die Dunkelheit gewöhnen müssen"

Berger knipste das Licht aus, und die UV-Lampe meldete sich mit einem schwachen Brummen. Die Lampe hatte doch einen geringen Leuchtanteil im sichtbaren Spektrum, so daß es im Raum nicht stockfinster war. Berteau bemühte sich, mit einem Blatt Papier die direkte Einstrahlung der Lampe von den Betrachtern abzuschirmen. Gebannt starrten die Anwesenden auf die schemenhaft erkennbare Leinwand.

Wie Berteau vorhergesagt hatte, dauerte es fast eine Minute, bis von der Leinwand her ein schwaches Leuchten zu erkennen war. Es verteilte sich nicht gleichmäßig über das Bild, war in den oberen zwei Dritteln intensiver als unten. in der rechten Hälfte des unteren Drittels schien eine Art flächiger Verwirbelung zu sein, die sich von der eher homogenen Umgebung abhob.

Der Kommissar setzte seine Vorlesung fort. " Nun, auf den ersten Blick würde ich sagen, auch eine Strandszene. Wenn Sie allerdings auf die Höhe der Hell-Dunkel-Grenze achten, die die Wasserlinie oder den Horizont markieren dürfte, so bemerken Sie, daß diese Linie höher liegt als bei <la Tempête>. Außerdem fehlt hier rechts der elegante Schwung in der Küstenlinie, die Le Bretons Bild kennzeichnet.

Der Wirbel dort rechts unten könnte ein Boot sein, aber es ist auf der falschen Seite. Zwei Handbreit darüber müßte bei <la Tempête> die Insel schemenhaft erkennbar sein, aber wir erkennen nur das Phantom von Wasser oder Himmelblau und sonst nichts. Wer auch immer das gemalt hat, was wir hier sehen, auf die Darstellung von Wolken hat er gänzlich verzichtet. Berger, bitte Licht!"

Die Glühbirne der Deckenbeleuchtung flammte auf und alle Anwesenden schlossen für einem Moment geblendet die Augen. Als sie wieder sehen konnten setzte sich Berteau auf seinen Schreibtisch und fixierte Le Sauvage scharf.

"So, mein Lieber, ehe wir uns jetzt entscheiden, ob wir auch noch das zweite, ungleich aufwendigere Experiment durchführen, frage ich Sie, ob Sie uns nicht etwas zu sagen haben? Um Ihnen die Entscheidung leichter zu machen, will ich Ihnen erklären, was ich noch vorhabe und warum der gute Monsieur Dodebel", er nickte in Richtung des Mannes in der Handwerkerkluft, der gelangweilt wartend neben seinem Aggregat saß "hier bei uns seine wertvolle Zeit verschleudert.

Das da" , er zeigte mit ausgestrecktem Arm auf das Stativ in der Ecke," ist ein Infrarot- Nachtsichtgerät der Marine, das wir uns ausgeliehen haben, und der Kasten neben Monsieur Dodebel ist eine mobile Klimaanlage. Zusammen mit der kleinen , handlichen Infrarotlampe dort drüben bilden die beiden Gegenstände unsere zweite Versuchsanordnung.

Der Rest ist Schulwissen. Infrarotstrahlung ist in erster Linie Wärmestrahlung. Jedes Kindweiß, daß sich unterschiedliche Farbflächen unterschiedlich aufheizen, wenn man sie bestrahlt und danach die Wärme auch wieder unterschiedlich abgeben. Im ebenfalls wieder verdunkelten Raum kann ich mit diesem Nachtsichtgerät diesen Effekt sichtbar machen. Das Ergebnis kommt mit Sicherheit auf dasselbe heraus, wie eben gezeigt, nur vielleicht mit besserer Qualität.

Um störende Umgebungseinflüsse zu vermeiden, soll Monsieur Dodebel mir die Raumtemperatur auf zwölf Grad herunterkühlen. Le Breton, ich warne Sie! Die Prozedur wird etwa zwei Stunden dauern, es wird saukalt und sauteuer und das Ergebnis steht von vorneweg fest. Monsieur Dodebel und seine Apparatur wird nach Zeit bezahlt. Noch geht die Aktion auf Kosten des Kommissariats, aber ich garantiere Ihnen, wenn dieses Triebwerk hier angeworfen wird, bekommen Sie die Rechnung. Und wenn Ihnen das immer noch nicht reicht, dann lasse ich von dem Bild Dünnschicht-Röntgenaufnahmen machen, auch auf Ihre Rechnung. Ich weiß nicht, ob Ihre zu erwartenden Einnahmen aus der Galerie du Midi dafür ausreichen werden!"

Le Sauvage ließ die Schultern hängen. Er wußte, daß ihn der Kommissar in der Zange hatte.

"Ist ja schon gut, Kommissar, ich mach eine Aussage, nicht daß ich möchte, aber ich werde eine machen."

Berteau nickte selbstgefällig: "Gut, dann wollen wir Monsieur Dodebel nicht länger aufhalten. Was Sie mir zu sagen haben, das können Sie auch in der Kantine bei einer Bol Café erledigen. Korporal, nehmen Sie etwas zu Schreiben mit."

An den Handwerker gewandt, sagte er: "Gut , Monsieur, tut uns leid, daß wir Sie umsonst bemüht haben. Sie können dann abbauen. Lassen Sie bitte aber das Bild hängen. Und lassen Sie die Finger von dem Nachtsichtgerät, es ist sehr empfindlich, und die Marine wird bestimmt stinkesauer, wenn es nicht mehr funktioniert."

Dodebel grinste vergnügt: "Vergebens, Monsieur le Commissaire, vergebens aber nicht umsonst. So, wie ich meinen Chef kenne, wird die Rechnung gesalzen sein. Au Revoir, Messieurs."

Berteau nickte abwesend und das Trio verließ das Bureau Richtung Kantine.

*****

Le Sauvage war für seine Verhältnisse erstaunlich mitteilsam, wenn es auch ein kurzes Geständnis war. Er hielt die Bol Café in beiden Händen und schlürfte andächtig.

"Sie haben recht, Commissaire,", brummte er zwischen den Schlucken heraus, " das Bild da oben in Ihrem Bureau heißt "Pointe de Penmarc´h im Sommer" oder so ähnlich und gehört zweifellos zu denen, die von Ihnen gesucht werden. Ich habe keine Ahnung, wer es denn mal gemalt hat."

Er machte eine Pause. Berteau drängte ihn nicht. Er war sich sicher, daß jetzt, wo das Eis gebrochen war, Le Breton von sich aus erzählen würde, was er wußte.

" Der Auftraggeber in diesem Fall war der General a.D. Mousterlin, ein alter Haudegen, bei dem mein Vater schon gedient hat, und zu dem meine Familie, aus welchen Gründen auch immer, heute noch Kontakt hat. 

 

Ich habe im Laufe der letzten Monate insgesamt neun Bilder übermalt, auch wenn ich bis heute nicht weiß, wozu das gut sein soll. Der erste Auftrag, ein Felsenriff von Degas wohl, kam auch von Mousterlin und es gab Gründe, warum ich das damals nicht ablehnen konnte.

Die anderen Arbeiten waren für ständig neue Auftraggeber, die ich teilweise nicht einmal richtig kenne, aber sie beriefen sich alle auf Mousterlin und die Tatsache, ich hätte doch schon mal... So eine Art Erpressung, wenn Sie wollen, aber zart formuliert. Ich betreibe keine Buchführung, und ich weiß nicht, ob ich sie noch alle zusammenkriege.

Aber dieser komische Redakteur war dabei - Monpas. Dann ein Versicherungsfritze und der Kommandeur des Marinestützpunktes, lauter illustre Leute. Da wird man als Einsiedler noch kleiner, als man schon ist.

Ich habe mir die zur Übermalung übergebenen Bilder natürlich angesehen. Van Gogh war dabei, Renoir, Monet und was weiß ich alles. Die Bilder waren durchweg mit einer konservierenden Schicht überzogen, so daß ich mir gesagt habe, durch meine Übermalung richte ich ja nicht wirklich einen Schaden an."

Er sah Berteau fragend an. Dieser beugte sich vor. "Was haben Sie denn nun eigentlich über die alten Meister drübergepinselt? Das zu wissen wäre interessant, wenn man sie wiederfinden will!"

Le Sauvage zuckte mit den Schultern. "Ach was, ich habe stilistisch alle möglichen Leute kopiert, von Kandinsky bis Stieglitz, quer durch das Gemüsebeet. Und alle schön ordentlich mit meinem Namen signiert, damit da kein falscher Verdacht aufkommt. Wenn irgend jemand diese Bilder an einer Wand zusammenhängt, dann muß er mich für verrückt erklären."

Berger, der eifrig mitgeschrieben hatte, sah auf und fragte: "Sagen Sie, wie sind Ihnen die Bilder zur Übermalung denn übergeben worden? Haben die Auftraggeber sie jeweils mitgebracht oder wie war das?"

Le Sauvage schüttelte den Kopf. "Nein, die Auftraggeber haben mich jeweils aufgesucht und ihre Wünsche geäußert. Dann haben sie den vereinbarten Preis im Voraus bezahlt. Die Bilder sind dann immer einen oder zwei Tage später mit einem weißen Firmenlieferwagen angeliefert worden. Quimper Chemical Ltd. oder so. Ich nehme an, das ist der Laden, in dem die Beschichtung durchgeführt wurde. Wenn ich mit meiner Arbeit fertig war, habe ich den jeweiligen Auftraggeber angerufen, und dasselbe Fahrzeug hat die Bilder wieder abgeholt."

Berteau dachte nach. Nach einigen Minuten kam er zu einem Ergebnis. "Es ist gut, Le Sauvage, Sie können gehen. Allerdings unter der Auflage, das Departement nicht zu verlassen. Und tun Sie mir einen Gefallen, informieren Sie den General, daß wir <la Tempête> beschlagnahmt haben. Daß wir hinter seinen Trick gekommen sind, brauchen Sie ihm nicht unbedingt erzählen. Ich denke, er wird schon von alleine auf die richtige Idee kommen."

Der Maler erhob sich so schnell, als fürchte er sich, der Kommissar könnte es sich anders überlegen. Er quetschte ein hastiges "Salu" heraus und verschwand.

Berger faltete seine Notizen zusammen und sah Berteau fragend an: "Sie lassen ihn laufen, einfach so? Fürchten Sie nicht, daß er sich mal wieder einfach verdünnisiert?"

Berteau schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück:

"Erstens:Was wir gegen ihn in der Hand haben, reicht nicht für einen Haftbefehl. Wenn es überhaupt zu einer Anklage kommen wird, so wird die lauten "Beihilfe zu... na was denn? Verarschung der Polizei, soweit das ein Tatbe stand ist.

Zweitens: Le Sauvage hat uns gesagt, was er weiß, soweit kenne ich ihn.

Drittens:Insgeheim brenntnt er darauf, herauszufinden, was hinter der ganzen Sache steckt. Daß nicht der alte General der eigentliche Drahtzieher ist, weiß er so gut wie ich.

Viertens: Ich hoffe, daß er mir damit einen Gefallen tut, wenn er jetzt die Gegenseite über den augenblicklichen Sachstand unterrichtet.

Fünftens: Die Art und Weise, wie wir den Wilden heute Nacht hier einbestellt haben, war schon hart an der Grenze der Legalität. Man sollte das nicht übertreiben.

Sechstens:Ich brauche Zeit, um nachzudenken. Bei den Namen, die er genannt hat, sagen mir zwei gar nichts. Den General kenne ich nicht, und den Kommandeur der Marinebasis schon gleich gar nicht. Daß beide Militärs sind, ist sicher eher zufällig, eine Verbindung von unserem Fall zum Militär zu ziehen dürfte falsch sein.

Aber, da ist Monpas, der Redakteur, die Kanaille, die mich in ihrem Blatt so durch den Dreck gezogen hat und die mit dem Kulturverein kungelt. Und ich esse freiwillig einen Monat bei McDonnalds, wenn sich hinter dem Versicherungsfritzen nicht der smarte Monsieur Soutif verbirgt. Und dessen Brötchengeber ist nun auch wieder der Kulturverein.

Die Geschichte klingt so bescheuert, daß ich nicht wage, meinen augenblicklichen Verdacht in irgend einen Bericht zu schreiben. Der Kulturverein bescheißt sich selber, und das mit dem Ziel, der Druidenloge eins auszuwischen oder so. Fragen Sie mich nicht, wie das geht!"

Berteau rieb sich das Gesicht mit beiden Handflächen: " Es nützt nichts, wir müssen wenigsten einen Teil der verschollenen Bilder finden. Danach werde ich meinen Urlaub der letzten drei Jahre nehmen und, was weiß ich, vielleicht nach Tibet fahren, um dort einen Psychiater aufzusuchen. So verkohlt, wie im Moment, bin ich mir schon lange nicht mehr vorgekommen.

Auf geht’s Berger. Produzieren Sie mal wieder einen Ihrer legendären Geistesblitze. Wo würden SIE ein gutes halbes Dutzend Gemälde verstecken, so Sie denn müßten?"

Berger mußte nicht lange nachdenken, seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: "Na, im Louvre zum Beispiel, oder im Centre Pompidou. Oder wenigstens in Rennes in der Staatsgalerie."

Berteau war verblüfft: "Wie kommen Sie denn da drauf?"

Berger grinste: "Monsieur le Commissaire, in meiner Heimat gibt es ein geflügeltes Wort, das sagt: Willst du einen Baum verstecken, so tu es im Wald. Sie müssen es doch zugeben, das hat was für sich. In den Lagerkellern des Louvre oder einer anderen Staatsgalerie könnten unsere Bilder wohlverpackt hundert Jahre schmoren, ohne irgend jemanden aufzufallen. So getarnt, wie sie sind, könnte man sie auch einfach in einer Dauerausstellung zwischen hundert andere Bilder hängen und kein Mensch würde Böses dabei ahnen."

Berteau sah Berger minutenlang mit offenem Mund an. Vor seinem geistigen Auge entstand die große Halle des Fort Bloqué und Stück für Stück tauchten jene acht Bilder in seinem Gedächtnis auf, für die er sich interessiert hatte, weil sie ihm so deplaciert zwischen den anderen der Sammlung vorgekommen waren. Alles echte Le Bretons, hatte der Graf gesagt, und wahrscheinlich weiß der Maler nicht einmal, daß sie hier hängen!

Berger machte sich um des dümmlichen Gesichtsausdrucks seines Vorgesetzten langsam Sorgen. Er dachte schon an einen Schlaganfall oder so etwas und wollte Berteau eben an der Schulter rütteln, als dieser unvermittelt aufsprang und sich mit der flachen Hand an die Stirn schlug.

"Berger, habe ich Ihnen eigentlich schon gesagt, daß Sie ein Genie sind? Und ich das zweitgrößte Rindvieh, das in der Republik herumläuft! Ha, jetzt haben wir diesen bornierten Grafen am Arsch!"

Er hielt inne: "Was meinen Sie?" , sagte er nach einigem Zögern, "Ob wir wohl in dieser schönen Stadt einen Staatsanwalt oder einen Untersuchungsrichter finden, der mir einen Durchsuchungsbefehl für das Fort Bloqué ausstellt, ohne sich gleich ans Telephon zu hängen, um beim Grafen die Alarmglocken zu läuten?"

Berger nickte nachdenklich: "Jaques de Lacroix, denke ich, erster Untersuchungsrichter. Der Mann ist so penetrant korrekt, daß man meinen sollte, er stammt von einem preußischen Offizier ab. Der würde sogar gegen sich selbst ein Verfahren einleiten, sollte er eine rote Ampel überfahren."

"Haben Sie mit ihm schon schlechte Erfahrungen gemacht oder woher kennen sie den Richter so genau?"

Berger nickte erneut: "Schlechte Erfahrungen! Ja, so kann man das nennen!. Achten Sie auf den Namen, Monsieur le Commissaire, de Lacroix. Er ist Henriettes Vater!"

*****

Richter de Lacroix war, seinem Amt angemessen, ein vielbeschäftigter Mann, und es wurde Nachmittag gegen sechzehn Uhr, bis es den beiden Beamten gelang, bis zu ihm vorzudringen. Er hörte schweigend den Bericht des Kommissars und dessen Schlußfolgerungen an. Dann kratzte er sich nachdenklich am Kinn und meinte:

" Nun, Monsieur le Commissaire, ich hoffe, Ihnen ist Eines klar: Wenn Sie sich irren, dann können wir allesamt nur noch auswandern, so sehr sind wir dann blamiert. Aber", er fischte aus den Papieren aus seinem Schreibtisch ein Formular und begann es auszufüllen, "ich will einmal auf die Intuition dieses Monsieur Besserwissers vertrauen, der sich erdreistet, mein Schwiegersohn werden zu wollen."

Er setzte schwungvoll seine Unterschrift unter das Formular und überreichte es Berteau mit den Worten: "Ich nehme an, Sie sind zu mir gekommen, weil Sie diese Aktion bis zu ihrem eigentlichen Beginn unter der Decke halten wollen. Ich gebe Ihnen einen Rat: Holen Sie das Personal, das Sie für die Durchsuchung brauchen, nicht vom Commissariat Central, da hat der Graf zu viele Freunde in exponierten Funktionen. Und Sie werden gegenüber dem Präfekten oder dem Hauptkommissar, der unglücklicherweise mein mißratener Bruder ist, das Ziel der Aktion kaum verschweigen können.

Greifen Sie lieber auf die Gendarmerie zurück! Wenn Sie wollen, kann ich das Nötige für Sie arrangieren, das ist unverdächtiger. Von mir weiß man, daß ich die Katze erst dann aus dem Sack lasse, wenn die Mäuse in Griffweite sind.

Sie brauchen sowieso ein paar Stunden Zeit, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen, und das Fort kann man auch nicht zu jeder beliebigen Tageszeit aufsuchen. Ich schlage vor, Sie starten Ihre Aktion morgen mit der Frühflut und dann aber überfallartig und von See her.

Wenn Sie gegen fünf Uhr mit der Küstenwache unten am Fischereihafen auslaufen, dann dürften Sie kaum neugierige Beobachter haben. und zwischen sechs und halb sieben sind Sie dann draußen am Fort. Die gräfliche Familie, wenn sie denn überhaupt anwesend ist, dürfte dann so verschlafen sein, daß sie kaum in der Lage ist, Ihnen irgendein Täuschungsmanöver vorzuführen".

Berteaus Gefühl, eine Figur in einem übergeordneten Schachspiel zu sein, verstärkte sich wieder. Zum x-ten mal, seit er mit diesem Fall betraut worden war, fühlte er sich an der Hand genommen und in eine bestimmte Richtung geschoben. Und er war sich immer noch nicht klar, welche Figur in diesem Schachspiel er darstellte, noch nicht einmal, ob seine Spielfarbe nun schwarz oder weiß war. Nun, er beschloß, sich dieses eine Mal noch schieben zu lassen, aber dann wollte er sich unbedingt einen Überblick über den Spielstand verschaffen.

Er vereinbarte mit Richter de Lacroix also, daß dieser ihm auf den kommenden Morgen fünf Uhr ein Boot der Küstenwache und sechs Gendarmen organisieren würde. Da er wußte,, wo auf dem Fort er den Hebel ansetzen mußte, erschien ihm das genug Personal zu sein.

*****

Nachdem sie den Untersuchungsrichter verlassen hatten, überlegten sie, was sie mit dem angebrochenen Abend anfangen sollten. Berteau spielte mit dem Gedanken, seinen unvermeidlich anstehenden Abschlußbericht wenigstens vorzubereiten, verwarf ihn dann aber wieder. Man konnte bei aller Klarheit der Indizien nie wissen, was die nächsten vierundzwanzig Stunden bringen würden.

Berger sprach aus, was sie beide insgeheim dachten: "Monsieur le Commissaire, egal, was bei unserer Aktion morgen herauskommen wird, ich denke, die Zeit unserer Zusammenarbeit neigt sich dem Ende zu. Lassen Sie uns noch einmal gemeinsam Essen gehen, und, wenn Sie einverstanden sind, lade ich Sie für heute abend ins "Eisbein mit Sauerkraut" ein."

Berteau sah seinen Assistenten mit traurigen Augen an und nickte: "Ich fürchte, Sie haben recht. Feiern wir also den hoffentlich erfolgreichen Abschluß unseres Auftrages vor. Wer weiß, ob wir morgen noch etwas zu feiern haben werden".

Sie fuhren also zum Lokal von Bergers Eltern. Berteau versüßte sich den Abend mit gebratener Geflügelleber auf Salat, gebackener Seezunge mit Kartoffelgratin und einer Guiche Lorraine. Berger, der schon lange eingesehen hatte, daß er in diesem Punkt mit dem Kommissar nicht mithalten konnte, begnügte sich mit Kalbsmedaillons in Rahmsauce, Bandnudeln und Pfifferlingen. Danach betranken sie sich bis knapp unter den Eichstrich mit deutschem Bier.

So kam es denn, daß Berteau die Nacht vor ihrem entscheidenden Einsatz in Bergers kleiner Junggesellenwohnung auf der Couch verbrachte.

*****

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