Freitag, 26. April
Das Wetter war an diesem Vormittag so, wie es einem alten Vorurteil zufolge in der Bretagne zu sein hatte. Der Himmel hatte sich zugezogen, und ein leichter Nieselregen ging über das Land nieder. Ein leichter, unangenehm kühler Wind wehte vom Meer her.
Gegen neun Uhr parkte Armand Berteau den Volvo im Innenhof des Polizeigebäudes. Der diensthabende Flic, der den Parkplatz bewachte und das Fahrzeug nicht kannte, wollte das nicht dulden. Zu seinem Unglück kannte er auch den Kommissar nicht, so daß er sich erst nach einem unerfreulichen Disput überzeugen ließ, daß dies schon seine Richtigkeit hatte.
So war Berteaus Stimmung so gereizt wie das Wetter, als er durch die Flure des Commissariats polterte. Offensichtlich hatten die gestrigen Direktiven aus Paris innerhalb Lorients Kripo die Runde gemacht, denn die Kollegen, die sonst üblicherweise die Flure bevölkerten, verschwanden bei seinem Auftauchen fluchtartig in ihren Dienstzimmern.
So ging sein Angriffsschwung ins Leere. Obwohl er davon ausging, daß der Kaffeeautomat immer noch defekt war, warf er ein 5-FF-Stück ein und drückte ohne Ergebnis vier- oder fünfmal auf die Wahltasten. Wie zu erwarten, spendierte der Automat kein Getränk und wie zu erwarten behielt er die 5 FF.
Berteau versetzte dem Blechkasten einen wütenden Fußtritt, wobei er sich prompt den Knöchel verknackste. So war er im Grunde für diesen Tag bereits restlos bedient, als er hinkend und mit wehleidigem Gesichtsausdruck seine Räume betrat.
Berger mußte einen siebten Sinn für die Macken seines neuen Vorgesetzten haben. Irgendwo hatte er eine Kaffeemaschine aufgetrieben, die jetzt dampfend und glucksend auf einem Aktenbock in der Ecke des Vorzimmerchens stand. Die sonst trostlose Büroatmosphäre wurde durchzogen von frisch gebrühtem Kaffeeduft. Nachdem er auch noch saubere Bols und ein Paket Zucker vorfand, beschloß er, die Drehzahl seiner emotionalen Turbine zurückzunehmen.
Nachdem Berger nicht im Raum war, bediente er sich ungefragt und trug die gefüllte Bol in sein eigenes Büro hinüber. Dort fand er den Korporal nachdenklich an der Pinnwand stehend vor.
" Bonjour, Korporal, Sie sind ein Genie", nachdem er die Hände nicht frei hatte, deutete er mit dem Kinn auf die Kaffeetasse, "unsere neue Zusammenarbeit hat sich für mich jetzt schon gelohnt"
Berger winkte beschwichtigend ab und machte sich daran, an der Karte zwei Markierungsnadeln mit einem blauen Faden zu verbinden. Berteau gesellte sich zu ihm und sah ihm über die Schultern. Der Flic hatte Bonamys Stückwerk vollendet und darüber hinaus einzelne Nadeln mit verschiedenfarbigen Fäden verbunden, so daß man die einzelnen Ereignisse geographisch verfolgen konnte.
"Nun, Dr. Watson", fragte Berteau nach einigen Minuten, " aus Ihrer Sicht irgendwelche Erkenntnisse?"
"Ich weiß nicht, inwieweit das für Sie relevant ist, Sherlok Holmes", konterte Berger schulterzuckend, "Was die Kirchenraubfälle betrifft, bin ich sowieso nicht auf dem Laufenden. Bei uns hier im Archiv ist nichts über frühere Fälle abgelegt. Ich habe in Brest und in Rennes die dort vorhandenen Unterlagen angefordert, aber es kann Mittag werden, bis die notwendigen Informationen hier vorliegen. Es wäre eben viel einfacher", er deutete auf das altertümliche Telephon auf Berteaus Schreibtisch, "wenn wir hier ein Faxphon zur Verfügung hätten."
Berteau gab ihm recht. Er nahm sich vor, sich umgehend darum zu kümmern.
"Was ihre Bilder betrifft", fuhr Berger fort, "so ergibt der jeweilige Ereignisablauf für mich keinen Sinn. Drei sind von Ihren ehemaligen Besitzern direkt verkauft worden, vier über bekannte Auktionshäuser, lediglich die beiden unbekannten Meister hingen vor dem Verkauf hier in der Galerie du Midi in der Rue Marechal Foch. Alle früheren Besitzer brauchten Geld und sind auch bezahlt worden. Alle Käufer, mit Ausnahme eines Einzigen, sind durch eine Versicherung entschädigt worden. Der neunte Fall ist bisher nur deshalb nicht entschädigt, weil die gesetzliche Frist, nach der das Diebesgut als verloren gilt, noch nicht abgelaufen ist.
Die Speditionslagerhäuser, aus denen die Kunstwerke verschwunden sind, bieten auf den ersten Blick auch keine Ansatzpunkte, es sind vier verschiedene, über die ganze Bretagne verteilt. Aber das sind Fakten, die Sie ja selbst kennen. Dennoch," er machte eine Kunstpause.
Berteau nickte ihm aufmunternd zu
"Dennoch", fuhr Berger fort, " gibt es ein paar Eigentümlichkeiten, die mir aufgefallen sind. Wenn ich das mal von hinten aufzäumen darf. Da ist erst einmal die Tatsache, daß es in allen Fällen dieselbe Versicherungsgesellschaft ist, die für den Verlust geradezustehen hat, nämlich die "Assurance de la Culture Bretonne", eine Gesellschaft, die vom Namen her auf solche Dinge spezialisiert sein dürfte und die wegen der Nachlässigkeit der Einheimischen ihren Besitztümern gegenüber eigentlich kaum existenzfähig sein dürfte. Man könnte fast vermuten, jemand legt es darauf an, diese Gesellschaft zu ruinieren. Oder es steckt etwas anderes dahinter, und die Versicherung muß über ein unglaubliches Kapital verfügen."
Der Kommissar spitzte die Ohren. Konnte es sein, daß der Gendarm da auf etwas gestoßen war, was er in seiner Betriebsblindheit bisher übersehen hatte? Es kam noch besser.
Berger kam in Fahrt, als er bemerkte, daß sein Chef ihm nicht zu widersprechen gedachte.
" Der zweite Punkt, der mir auffällt, betrifft die Speditionen. Auf den ersten Blick sind es vier verschiedene. Ich weiß aber - gelegentlich fahre ich im Urlaub für eine von ihnen LKW, um mein Gehalt etwas aufzubessern- , daß sie alle zu einem Speditionsverbund gehören, der dazu dient, die Auslastung seiner Mitglieder zu optimieren.
Der Verbund nennt sich "Ouest France Transport limited", und zwischen den einzelnen Mitgliedern findet natürlich ein reger Informationsaustausch statt. Ich denke, das gilt auch für die Sicherungssysteme der einzelnen Lager, weil da schon gelegentlich mal nachts geladen oder abgeladen werden muß und die Lagermeister sich nicht gern aus den Betten klingeln lassen."
Sie hatten mittlerweile an Berteaus Schreibtisch Platz genommen. Der Kommissar hatte sich nach vorne gebeugt, die Ellbogen aufgestützt hielt er mit beiden Händen die leere Bol und sah seinen Gegenüber gespannt an. Berger hatte sich zurückgelehnt und die Beine übereinandergeschlagen. Sein Ton nahm jetzt eine dozierende Nuance an:
" Die dritte Auffälligkeit für mich betrifft die früheren Besitzer der gestohlenen Bilder. Zwar ist es schon so, daß die sich alle wohl schweren Herzens von Ihren Schätzen getrennt haben, weil sie flüssige Mittel brauchten. Aber wer einen Gauguin oder einen Renoir verscheuern kann, gehört nicht wirklich zu den Armen.
Die Besitzenden hier in der Bretagne lassen sich aber im Grunde in zwei Gruppen aufteilen:
Das sind einmal diejenigen, die mit der Republique Francaise mehr oder weniger widerwillig ihren Frieden gemacht haben. Nennen wir die mal die Devoten. Die andere Gruppe ist den Separatisten zuzuordnen, und diese hält die Ersteren für verabscheuungswürdige Kollaborateure. Die beiden Gruppen sind sich spinnefeind, und in manchen Gegenden, so sagt man, weigern sie sich sogar, zur selben Zeit dieselbe Kirche zu besuchen.
Die Seperatisten spalten sich nach meinem Dafürhalten in zwei Lager. Da ist einerseits der eher gemäßigte, sogenannte politische Flügel um den Marquis de Fresnes, der irgendwo im Norden in einem pompösen Schloß haust, das er sich eigentlich gar nicht leisten kann. Er und noch eine Handvoll weiterer Adliger nennen sich Action Bretonne Autonomic. Fresnes vertritt den bescheuerten Standpunkt,daß, wenn die bretonische Kultur schon unausweichlich den Elorn hinunterschwimmen muß, dann sollen wenigstens ihre kulturellen Werte besser über die ganze Welt verstreut werden, als an die französische Zentralmacht fallen.
Fresnes bestreitet also seinen Lebensunterhalt damit, daß er so nach und nach seine und seiner Getreuen Besitztümer an neureiche Ausländer, vorwiegend Amerikaner, verscheuert. Das teilweise existierende Vorkaufsrecht der Regierung übersieht er dabei großzügig, was schon öfter Anlass für böse Prozesse war.
Den eher militante Teil der Seperatisten bildet der Druidenzirkel, eine Art Geheimbund, der ETA vergleichbar. Wie weit Fresnes Einfluß auf den Druidenzirkel reicht, ist umstritten. Die Geheimbündler möchten die Bretagne am liebsten von Frankreich losbomben, haben aber in der Bevölkerung nicht den nötigen Rückhalt.
Nun zu den Kunstwerken. Der Zwang, gelegentlich etwas aus ihren Besitztümern verkaufen zu müssen, trifft beide Gruppen gleichermaßen, von einigen Ausnahmen mal abgesehen.
Die Devoten nun, wenn sie sich schon von etwas trennen müssen, verkaufen zu neunundneunzig Prozent an den Bretonischen Kulturverein, hinter dem der Comte de Kergac und seine einflußreichen Freunde stehen. Dahinter steckt Kapital in schwindelerregender Höhe. So bleibt denn auch das Kulturgut aus dieser Ecke normalerweise im Lande. Interessanterweise wird der Kulturverein anscheinend auch nicht beklaut.
Die Separatisten aber halten die Kergacs für den Inbegriff der Kollaboration mit der Staatsmacht. Sie würden eher verhungern, als etwas an den Kulturverein zu verkaufen. So verscherbeln sie ihren Krempel auf dem freien Markt. Bleibt das Zeug im Lande - kein Problem. Wird es ins Ausland verkauft, verschwindet es, ehe es abtransportiert werden kann.
Also, für mich klauen entweder die Separatisten ihr Zeug selber wieder zurück, oder es gibt da einen Zusammenhang, hinter den ich noch nicht steige."
Berteau nickte vielsagend . Das waren Gedankengänge, die es immerhin lohnte, weiterzuspinnen.
" Uns was sagt Ihnen Ihr Gefühl zu diesen Kirchenraubfällen, auch wenn die Informationen noch nicht komplett sind?"
Berger starrte zur Karte hinüber: " Für mich existiert keine Querverbindung zu Gauguin und Konsorten. Die Leute, über die wir bisher gesprochen haben, werden sich hüten, das Kulturgut des gemeinen Volks anzufassen. Die Bretonen sind zum großen Teil streng religiös, und ihre Heiligen sind unantastbar. Deshalb sind sie auch so gut wie nie versichert. Vergreift man sich an denen, reagiert die Bevölkerung ausgesprochen empfindlich. Und käme heraus, daß die Adligen da ihre Finger mit drin hätten, wäre deren Einfluß in alle Ewigkeit verspielt.
Nein, ich denke mal, dahinter stecken ganz gewöhnliche Kriminelle, denen halt nichts heilig ist.
Daß bisher von dem Geraubten nichts aufgetaucht ist, halte ich für normal. Es ist einfach noch zu früh dafür.
Wäre ich an dieser Einbruchsserie beteiligt, gäbe es für mich zwei Möglichkeiten: Entweder, das ist von der Entfernung der bisherigen Tatorte her möglich, die Sore auf dem kürzesten Weg nach Brest zum Hafen schaffen und noch in derselben Nacht außer Landes bringen. Aber das müßte eigentlich der Hafenmeisterei auffallen, wenn da ein Boot oder ein Kutter immer wieder in der Nacht ablegt.
Die für mich wahrscheinlichere Handlungsweise ist die, daß die Ware über Land möglichst weit weg gebracht wird, um irgendwo in einem Depot zu verschwinden, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Aber wie gesagt, die Informationen sind noch nicht vollständig."
Berteau dachte einige Minuten schweigend über das Gehörte nach. Manches von dem, was Berger sagte, erschien einleuchtend, manches andere war jedoch nach dem derzeiteigen Stand der Dinge nicht einzuordnen.
Er seufzte. Der Kollege Moreau schien doch recht zu haben. Sein Problem schien mit Mitteln des Intellekt nicht vom Schreibtisch aus zu lösen sein.. Er würde sich tatsächlich doch unter die Leute begeben müssen, eine Aussicht, die ihm eigentlich zuwider war.
Er fand, daß es Zeit war, sich mit den Kollegen in Brest wegen der Kirchendiebstähle auseinanderzusetzen. So beauftragte er Berger, sie telephonisch dort anzumelden, während er selbst die mittlerweile eingegangene Kurierpost sichtete.
*****
Berteau hatte Berger das Steuer des Volvo überlassen, denn er sah das Auto lediglich als Mittel zum Zweck, um von A nach B zu kommen. Er selbst war kein begeisterter Fahrer, und wenn es sich vermeiden ließ, chauffierte er nicht selbst.
Berger erwies sich als besonnen und sicher, so daß von der Fahrt nach Brest keine übermäßige Belastung von Berteaus Nervenkostüm zu erwarten war. So genoß er sie und die Landschaft, durch die sie kamen.
Sie benutzten absichtlich nicht die RN 165, sondern die südliche Küstenstraße über Ploemeur und le Pouldu Richtung Concarneau und von dort nach Quimper, um den Zipfel Cornouaille abzuschneiden. Ihre Absicht war, von Quimper aus über Locronan nach Crozon zu fahren und dann von le Frêt aus die Fähre nach Brest zu benutzen.
Als sie auf der Küstenstraße das Dorf Le Bloqué umrundeten, sahen sie linker Hand das düster wirkende Inselfort aus dem Wasser ragen. Berteau bat Berger, einen Moment anzuhalten, und dieser steuerte den Wagen auf einen schmalen Sandstreifen links der Straße und stoppte neben einem großflächigen Reklameschild, das die Silhouette des Forts nebst einigen Informationen trug. Der Sandstreifen wurde zum Wasser hin von einigen Grasbüscheln begrenzt, danach fiel das Gelände steil ab und bildete einen etwa fünf Meter hohen Hang. Es schloß sich ein etwa vierzig Meter breiter Strandstreifen an, aber der überall herumliegende Tang ließ vermuten, daß dieser Streifen bei Fluthöchststand unter Wasser stand. Die leicht gekräuselten Wellen der anschließenden Wasserfläche wiesen unappetitlich wirkende Schaumkronen auf, woraus Berteau schloß, daß derzeit auflaufende Flut herrschen mußte.
Die Entfernung zur Insel mochte etwa vierhundert Meter betragen. Sie war nur wenig größer, als die darauf errichtete Befestigungsanlage. Bei Flut mochte der Wasserstand bis an die Außenmauern heranreichen, hatte sie aber derzeit noch nicht erreicht.
Die Befestigungsanlage selbst wirkte düster und bedrohlich. Berteau konnte sich nicht so recht vorstellen, wie man sich ein solches Gemäuer als gräflichen Wohnsitz aussuchen konnte. Die Leichtigkeit und Eleganz, die er von den Schlössern der Loire her gewohnt war, fehlte hier gänzlich. Der gesamte Komplex erinnerte eher an eine überdimensionierte Bunkeranlage, wie sie die Deutschen während des Weltkriegs zuhauf in der Gegend hinterlassen hatten. Zur Küste hin war die wuchtige Außenmauer durch ein halbrundes Tor durchbrochen, das in seiner Größe wohl auch einem Lastwagen Durchlaß gewährte. Vom Tor weg lief eine schmale, gepflasterte Straße in Richtung Küste, verschwand jetzt allerdings nach wenigen Metern im Wasser. Links von Berteaus Standpunkt durchzog ein schmaler Einschnitt den Steilabfall der Küste, und dort war das andere Ende des Sträßchens auszumachen.
Nun, die Kergacs mochten einen eigentümlichen Geschmack haben. Immerhin, wenn sie das historische Gemäuer tatsächlich bewohnten, so verhinderten sie wenigstens seinen Verfall.
Berteau studierte das Schild, unter dem sie angehalten hatten. Neben einigen wenigen historischen Daten zum Fort, beinhaltete es den Hinweis, daß interessierte Reisegruppen nach Voranmeldung über ein Reisebüro in le Pouldu das Fort besichtigen konnten und daß an den Wochenenden die Führungen von Mitgliedern der gräflichen Familie selbst durchgeführt würden. Einzelne Interessenten wurden gebeten, sich den Reisegruppen anzuschließen.
Es folgten noch Hinweise darauf, daß sich die Zeiten für die Führungen nach den Gezeiten richteten, daß die Gäste bei Ebbe gebeten wurden, zu Fuß zur Insel zu kommen und daß sie bei Flut durch ein Boot übergesetzt werden könnten. Der letzte Hinweis galt der Tatsache, daß aus Sicherheitsgründen von dreißig Minuten vor, bis eine Stunde nach Einsetzen der Flut das Queren des Watts zwischen Insel und Festland weder zu Fuß noch mit dem Boot möglich sei.
Der Kommissar wies auf das Schild und sagte:"Nun , ich denke, ich werde am Wochenende ein Kulturprogramm einlegen. Kennen Sie die Insel, Berger?"
Berger stieß mit dem Volvo auf die Straße zurück und setzte den Weg fort. Er grinste: " Für einen, der hier in der Gegend wohnt, ist das absolutes Pflichtprogramm. Die Führungen macht entweder der Graf selber, dann sind sie seriös, informativ und ein wenig langweilig. Oder es führt sein verlotterter Bruder, der fabuliert aus dem Stegreif und lügt die Touristen an, daß sich die Balken biegen.
Einheimische wissen das und machen die Führungen des Maître immer wieder mit, um herauszufinden, wie weit er es wagt, die Familiengeschichte der Kergacs rückwärts zu verbiegen. Es ist auf jeden Fall ein Heidenspaß. Ich empfehle Ihnen , es sonntags zu versuchen, da ist der Graf in der Regel mit anderweitigen Repräsentationspflichten beschäftigt, und sein Bruder vertritt ihn."
Berteau nickte: " Gut, dann werde ich morgen die Galerie du Midi der Madame le Breton aufsuchen. Schließlich waren zwei der neun Bilder, die ich suche, vor ihrem Verschwinden eine Zeitlang dort ausgestellt. Ich habe die Dame zwar im Commissariat schon vernommen, aber das war nicht sehr ergiebig. Und außerdem bin ich da auf etwas gestoßen, was mich, na sagen wir, eher privat interessiert."
Berger war zwar neugierig, hielt sich aber zurück. Er konnte warten, bis der Kommissar die Katze aus dem Sack ließ.
Der wählte jedoch einen rhetorischen Umweg: "Wo immer ich in dieser Geschichte hingreife, ich stoße stets auf dieselben vier oder fünf Namen. Mein Instinkt sagt mir, daß Le Breton so ein Schlüsselname ist. Kommen Sie , Berger, auch wenn Sie hier als Zugereister gelten, durch Ihren Job kennen Sie doch Hinz und Kunz. Erzählen Sie mir mehr über diesen Rennfahrer und seine Frau !"
Der Korporal hieb mit der flachen Rechten auf das Lenkrad: " Oui, Monsieur, was wollen Sie hören, Fakten oder den Klatsch?"
Der Andere zuckte mit den Schultern: " Am Besten beides. Ich denke, ich werde mir erst so nach und nach ein Bild machen können, und manchmal ist Klatsch recht hilfreich."
Sie befuhren jetzt die kurvenreiche und enge Küstenstraße Richtung Concarneau, und Berger mußte sich mehr auf die Fahrt konzentrieren, seine Auskünfte kamen deshalb in Schüben.
"Nun, die Familie besteht aus drei, nein vier Mitgliedern. Monsieur und Madame, dazu die achtzehnjährige Tochter und ein halbjähriger Enkel.
Ihn und seine erste Profession, den Handel und Umgang mit allem was Räder hat, haben Sie ja bereits kennengelernt. Nebenbei handelt er mit Immobilien, das heißt, er kauft alte, halbverfallene Bauernhäuser auf und saniert sie. Üblicherweise bewohnt er sie dann ein oder zwei Jahre, um sie dann mit deutlichem Gewinn wieder abzustoßen. Das hat zur Folge, daß er seinen Wohnsitz wechselt, wie die Küstenfischer die Hemden. Derzeit residiert er mit Tochter und Enkel in einem Gehöft in der Nähe von Quimper.
Zwischen ihm und Madame stimmt es wohl schon lange nicht mehr so recht. Überhaupt scheint die Familie die katholische Sittenlehre recht locker auszulegen. Das zeigt sich schon daran, daß Madame jetzt Mitte dreißig ist und schon Oma, und das ohne den dazugehörigen Schwiegersohn.
Madame ist ihrem Angetrauten in den letzten zehn Jahren wohl einige Male davongelaufen, hat es sogar bis nach Tunis geschafft. Aber was so ein richtiger Le Breton ist, so trennt der sich nicht ungefragt von seinem Eigentum, schon gar nicht, wenn dabei Geld im Spiel ist. Also hat er sie immer wieder eingefangen und zurückgeholt.
Dem Vernehmen nach hat Madame bei der letzten Gelegenheit vor etwa fünf Jahren einen tiefen Griff in die Firmenkasse getan und das Geld mit einem Liebhaber in Andorra oder so verjubelt, noch ehe Monsieur sie wieder ausfindig gemacht hatte. Böse Zungen behaupten, Le Breton habe sie vor die Wahl gestellt, mit Ihm zurückzukommen und ihm so nach und nach den Schaden zu ersetzen oder in den Knast zu wandern.
Jetzt wohnt sie in Lorient in einer Stadtwohnung im Neubaugebiet auf der anderen Hafenseite , irgendwo am Rande des Arsenal Maritimes, und führt weiter ihre Galerie. Wenn Sie Gewinne macht, schöpft er diese wohl ab, so daß sie gezwungen ist, neben dem Galeriegeschäft einen Hundesalon zu betreiben, in dem sie verwöhnten Pudeln das Fell trimmt oder neurotischen Chow-Chows Dauerwellen verabreicht. Soweit ich das beurteilen kann, sehen sich die beiden nur, wenn sie entweder nach außen hin den Schein zu wahren müssen oder geschäftlich miteinander zu tun haben.
Man sagt, Madame kompensiert mangelnde Zuneigung von Monsieur dadurch, daß sie den Künstlern, die sie jeweils ausstellt, mehr Betreuung angedeihen läßt, als es rein geschäftlich notwendig wäre. Wie er seinen Hormonhaushalt steuert, ist mir nicht bekannt, dazu wohnt er zu weit außerhalb meines Bezirks."
Berger war am Ende seiner Ausführungen angelangt. Berteau wußte zwar noch nicht, wie er diese Informationen verwerten sollte, aber er sortierte sie zunächst einmal systematisch in die Schubladen seines Gedächtnisses ein. "Was wissen Sie über jene Affäre in Andorra?", hakte er noch einmal nach.
Der Korporal legte den Kopf schief: "Wirklich nur Klatsch, Monsieur le Commissaire, nur Klatsch. Sie soll sich dort mit einem Maler, einer zwielichtigen und polizeilich gesuchten Person, herumgetrieben haben. Nachdem ihr Betriebskapital weg war, als ihr Angetrauter sie wie der aufgetrieben hatte, wird der Andere sie wohl ausgenommen haben, wie eine Weihnachtsgans.
So weit ich weiß, gilt der Maler als tot oder verschollen. Würde mich nicht wundern, wenn ihm Le Breton eins über die Mütze gezogen und ihn in eine Pyrenäenschlucht geworfen hätte. Aber wenn, dann nicht wegen der verletzten Eitelkeit, sondern wegen des Gelds."
Der Kommissar strahlte wie Papa Noel bei der Bescherung: "Ich bin mir meiner Sache noch nicht ganz sicher, aber was würden Sie sagen, wenn eben jener zwielichtige Maler wieder aufgetaucht wäre und demnächst ausgerechnet in der Galerie du Midi ausstellte?"
Berger erschauerte: "Malen Sie den Teufel nicht an die Wand, Monsieur le Commissaire, das Leben ist doch schon grausig genug."
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Der Besuch bei den Kollegen in Brest erwies sich als wenig ergiebig. Inspektor Forget, ein mürrischer, bärbeissiger Mann, der sichtlich an Magengeschwüren litt, und der mit den Kirchendiebstählen befasst war, hatte wohl seine Hausaufgaben gemacht, aber ohne Ergebnis.
Forget gehörte eigentlich dem Betrugsdezernat an und fühlte sich in der Sparte Einbruchsdiebstahl nicht wohl. Nach Bertaus Einschätzung gehörte er zu jener Sorte von Beamten, die so eifrig wie erfolglos waren und deshalb immer tiefer in die Provinz abgeschoben wurden, wo sie dann ihrer vorzeitigen Pensionierung entgegenvegetierten.
Bis auf eine Ausnahme hatte sich die Einbruchsserie ohne Zeugen abgespielt, und bis auf aufgebrochene Türen, hatten die Täter kaum verwertbare Spuren hinterlassen. In einem Fall waren Reifenspuren festgestellt worden, aber die Auswertung ergab, daß es sich dabei um einen relativ neuwertigen Reifen eines bekannten Herstellers handelte, und das in einer Größe, die auf tausende Fahrzeuge passen konnte.
Zwar ließ die Aussage des Pfarrers von Plougastel Rückschlüsse auf den Fahrzeugtyp zu, ein älterere Citroen-Lieferwagen mit Kastenaufsatz und Wellblechverkleidung, aber von diesem Fahrzeugtyp waren allein im Departement Finistère mehrere Hundert zugelassen, unmöglich, alle zu überprüfen. Immerhin hatte der Pfarrer so gut beobachtet, daß von seiner Personenbeschreibung ein einigermaßen brauchbares Phantombild des Fahrers des Lieferwagens angefertigt werden konnte, aber die Person schien im Departement unbekannt.
Soweit von den gestohlenen Gegenständen Fotos existierten,waren diese gesammelt und katalogisiert worden.Nach Forgets Erkenntnissen, war in seinem Zuständigkeitsbereich bisher nichts davon wieder aufgetaucht. Berteau ließ sich eine Kopie des Katalogs anfertigen, um diese mit nach Lorient zu nehmen.
Inspektor Forget beklagte, daß die ländliche Bevölkerung anstatt mit ihm zusammenzuarbeiten ein ausgesprochen verärgertes und aggressives Verhalten wegen seiner offensichtlichen Erfolglosigkeit entwickelte. Nichts träfe die Bauern und Fischer so empfindlich, als wenn man sich an den Gegenständen ihres Glaubens zu schaffen mache. Und der Zorn über den Frevel schlage sehr schnell in Ärger über die Ohnmacht der Obrigkeit um, könne man nicht im Handumdrehen die Schuldigen präsentieren.
Berteau bat Forget, um eine möglichst vollständige Liste der potentiell gefährdeten Objekte im Umkreis von fünfzig Kilometer um Brest. Dieser nickte gequält, stellte aber fest, das würde einige Zeit dauern, gäbe es da doch über hundert Kirchen und Kapellen, die in Frage kämen.
Ständig überwachen könnte man die sowieso nicht. Er versprach, die gewünschten Informationen so schnell, wie möglich nach Lorient zu faxen.
Berteau suchte mit seinem Assistenten den Pfarrer von Plougastel auf, um ihn noch einmal zu befragen. Das brachte jedoch keine neuen Erkenntnisse. Nach der Tatortbesichtigung mußte sich der Kommissar eingestehen, daß die leeren Nischen, in denen die Heiligen gestanden hatten, einen ziemlich trostlosen Anblick boten. Er konnte die Verärgerung der Bevölkerung verstehen.
Unter den zurückgelassenen Skulpturen fiel ihm ein ca. dreißig Zentimeter hoher, hölzerner Heiliger auf, der relativ grob gearbeitet war. Die Figur trug einen roten Mantel über weißem Gewand und in der Rechten einen überdimensional großen Schlüssel vor der Brust. Der linke Arm hing herab, und ohne daß er eine anatomische Verdrehung aufwies, zeigte der Daumen der Hand nach außen. Obwohl aus demselben Holzklotz herausgearbeitet, zwängte sich dem Betrachter der Eindruck auf, Arm und Hand gehörten gar nicht zur Figur. Er schätzte das Alter der Statue auf über vierhundert Jahre und gestand ihr einen erheblichen Wert zu. Nachdem die danebenliegenden Nischen leer waren, nahm er an, daß sie Teil einer zusammengehörenden Gruppe war.
Die Diebe, die dieses Kleinod zurückgelassen hatten, mußten entweder in ziemlicher Eile gewesen sein, oder sie verstanden nichts von ihrem Geschäft. Einer plötzlichen Intuition folgend, bat er den Pfarrer, ihm diese Figur zur "Beweissicherung" vorübergehend zu überlassen.
Dem alten Pfarrer widerstrebte das Ansinnen Berteaus sichtlich.. Nach einigem Zureden und nach einer amtlichen Quittung stellte er dann schließlich fest, auf eine leere Nische mehr oder weniger käme es ja nun auch nicht mehr an und er rückte den Heiligen heraus.
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