2.2.1. Die Vorbilderneurose
| Der Vorgesetzte soll in seiner Haltung und Pflichterfüllung ein
Beispiel geben
Soldatengesetz § 10(1) |
Um das Funktionieren einer Armee sicherzustellen, müssen ihre Soldaten bestimmte Eigenschaften haben. Nach der Auffassung führender Militärs sind die wichtigsten Heldenmut, unbedingter Gehorsam und Pflichterfüllung. Nachdem der nichtführende Durchschnittssoldat diese Eigenschaften, insbesondere in Friedenszeiten, nicht alleine entwickeln kann, braucht er Vorbilder, an denen er sich orientieren kann. Um solche Vorbilder zu konstruieren, betreiben alle Armeen dieser Welt das, was man Traditionspflege nennt: Die Helden längst vergangener Tage werden zu Heiligen glorifiziert und es wird ihnen in kapellenähnlichen Traditionsräumen gehuldigt.
Die Bundeswehr tut sich schwer mit solchen Vorbildern, sie hat nachgerade einen Mangel an geeigneten Vorbildern!
Zwar gab es seit der Gründung der Bundeswehr Politiker und Generäle genug (allesamt norddeutscher Herkunft, und damit dem Preußischen irgendwie verhaftet) die gerne die alte Preußische Militätradition beschworen und sie auf die Bundeswehr übertragen wissen wollten. Es gibt allerdings eine Ganze Reihe von Gründen, warum jene Preußische Tradition für die ersten Streitkräfte in einem annähern demokratischen Gesamtdeutschland nicht viel her.
Einerseits, jeder Soldat, der seine schulischen Geschichtsstunden nicht total verschlafen hat, weiß heute, dass vorstehende Eigenschaften in noch in der legendären Armee des Alten Fritz ihren Soldaten buchstäblich eingeprügelt wurde, bis ein gewisser Freiherr vom Stein dies abschaffte. (ein Umstand, der von Teilen der unteren und mittleren Führungsebene bis heute bedauert wird).
Dazu kam, dass dieses Preußen viele Jahrhunderte auf der gesamtdeutschen Landkarte eigentlich nur einen winzigen und bedeutungslosen Fleck darstellte, eben einen von zeitweilig weit über dreihundert Kleinstaaten. Und in vielen dieser Kleinstaaten wurde das Thema Tradition eben anders gesehen, als im alten Preußen. Bayern, um nur die süddeutschen zu nennen, fühlte sich weit mehr der Habsburgischen, Baden und Württemberg eher der Napoleonischen Tradition verpflichtet.
Selbst noch nach Bismarck und im sogenannten Wilhelminischen Kaiserreich hielten sich jeder der Regionalkönige und Fürsten ihre eigenen Streitkräfte, und die lokalen Feudalherren taten sich recht schwer mit ihrer Entscheidung, ihre Armeen einem zentralen Preußischen Oberkommando zu unterstellen. Und auch dann fühlte man mitnichten preußisch, ja selbst nur mit Vorbehalt Deutsch.
Immerhin bedurfte es in Württemberg eines getrennten Aufrufs des damaligen Königs "An mein Volk", um die biederen Schwaben zu einer Teilnahme am ersten Weltkrieg zu bewegen. Denen war nicht so recht klarzumachen, wieso sie wegen diesem Attentat von Sarajewo die Köpfe hinhalten sollten.
Nun ging ja dieser Krieg unter Preußens Führung bekanntermasen mit Glanz und Gloria verloren, und nichts eignet sich schlechter zur Image- und Vorbilderpflege wie Erfolglosigkeit. Und die nachfolgende Hunderttausend-Mann-Rumpf-Reichswehr und die Freikorps haben, so steht es zu lesen, an der Untergrabung der Weimarer Republik kräftig mitgestrickt, was sie im Sinne der Vorbilderfunktion wenig empfehlenswert erscheinen lassen.
Bleibt für die Traditions- und Vorbildbetrachtung allenfalls die Rolle der Wehrmacht im "Tausendjährigen" Reich. Es ist müßig, darüber zu rechten, inwieweit die Reichswehr für diesen unsinnigen Krieg mit verantwortlich ist, den sie unter Führung diese größenwahnsinnigen österreichischen Obergefreiten verloren hat. Fest steht jedoch, dass heutzutage nur Truppengattungen wie etwa die Fallschirmjäger, die zu dieser Zeit erst erfunden wurden in Ermangelung weiter zurückreichender Tradition sich an diesen Geschehnissen im Sinne der Traditionspflege ergötzen können.
In Ermangelung tauglicher kriegserprobter Vorbilder hält sich also der heutige Bundeswehrsoldat an das, was er vor sich hat und greifen oder begreifen kann, seine Vorgesetzten. Deshalb auch jener Gesetzestext im vorstehenden Kasten. Und da ist für jeden, der seinen Job so richtig ernst nimmt, (es gibt tatsächlich welche) die Neurose vorgezeichnet.
Der Vorgesetzte soll in seiner Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben......
| Merke:
Wenn der Hund bellt, heißt das noch lange nicht, dass der Knochen auch bellen darf! Der Knochen kann sich allenfalls vornehmen, auch zu bellen, wenn er wider Erwarten mal Hund sein sollte! |