2.2.2. Die Uniformitätsneurose

Der ursprüngliche Sinn hinter der Erfindung von Uniform (das gilt sinngemäs auch für Trachten) war der, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, einem Berufsstand oder einem Verein zu dokumentieren. Dies gilt natürlich auch für das Militär. Noch vor im zweiten Weltkrieg war es relativ einfach möglich, anhand von Farbe und Zuschnitt der Uniformen Freund und Feind voneinander zu unterscheiden.

Im Zeitalter der mittlerweile weltweit verbreiteten gefleckten Tarn-Kampfanzüge ist das schwieriger, dazumal die Anzeige der Nationalitätszugehörigkeit üblicherweise auf ein briefmarkengroßes Hoheitsabzeichen am Oberarm geschrumpft ist. Dennoch ist es nach wie vor so, dass ein Soldat, der unter dem Tarnanzug weiße anstatt der vorgeschriebenen olivgrünen Unterhosen trägt, potentiell dem Feind zuzurechnen ist.

Jeder Soldat der Bundeswehr erhält bei seiner Einkleidung annähernd zweihundert Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände. Dabei sind Sonderausstattungen bestimmter Truppen- und Waffengattungen nicht mitgerechnet.

Geht man nun davon aus, dass etwa die Hälfte dieser Bekleidungsstücke sichtbar am Körper zu tragen sind und dass zu einem kompletten Anzug durchschnittlich zehn Teile gehören, so ergibt sich rein rechnerisch die erkleckliche Anzahl von einhundert mal zehn hoch neun Kombinationsmöglichkeiten, ein Umstand, der dem sonst in seinen Möglichkeiten recht eingeschränkten Soldaten ungeahnte Kreativität erschließen könnte.

Dieser Kreativität stehen jedoch zwei Dinge im Wege: Da ist einerseits eine Dienstvorschrift, die vorschreibt, welche Bekleidungsstücke bei welcher Gelegenheit und bei welchen Witterungsverhältnissen zu einem "Anzug" zu tragen sind. Diese Vorschrift reduziert das Angebot bereits auf etwa einhundert Varianten. Dazu kommt die Gewohnheit von Vorgesetzten vom Kompaniechef an aufwärts, für ihren unterstellten Bereich einen bestimmten Anzug zu befehlen. Diese Vorgesetzten erweisen sich üblicherweise als erstaunlich phantasielos , was das von der Vorschrift vorgegebene Angebot im Grunde genommen auf ein halbes Dutzend Möglichkeiten reduziert.

Die Vorschrift sieht vor, dass die Uniform des Soldaten unter anderem witterungsbedingt und und jahreszeitlich angepasst verändert werden kann. Nachdem solche Parameter wie Temperatur und Niederschlag allerdings bezüglich des Wohlfühlens und der entsprechenden Zweckmäßigkeit der Bekleidung subjektiver Natur sind, haben militärische Führer die Angewohnheit, Jahreszeiten und Wetter nach Kalender zu befehlen. So beginnt in der Fallschirmjägerbrigade, der der Autor die Ehre hatte, einige Jahre anzugehören, der militärische Sommer prinzipiell am 1. April und endet prinzipiell am 30. September. Und wenn es am 13 April Stein und Bein friert, so laufen die zu dieser Brigade gehörenden Soldaten im Freien mit aufgekrempelten Ärmeln herum, denn es ist ja Sommer befohlen.

Ein besonders neurotischer Aspekt der Uniformität ist der Zwang des Soldaten, im Freien immer einen Hut (militärisch Kopfbedeckung) zu tragen, es gibt keinen bekannten vernünftigen Grund dafür, außer dem, dass Vorgesetzte darauf bestehen. Böse Zungen behaupten, dass der Soldat seinen Kopf ausschließlich als vorgesehene Ablage für seine Kopfbedeckung besitzt.

Dabei mögen ja die vor zweihundert Jahren noch üblichen phantasievollen und turmhohen Tschackos ihren Sinn in der Freund-Feind-Kennung gehabt und unter Umständen auch die Wirkung eines von oben geführten Hiebes abgemildert haben, die heutzutage üblichen Baretts erfüllen diesen Zweck schon lange nicht mehr.

Geradezu erotisch- neurotisch ist das Verhältnis des Durchschnittssoldaten zu seinem Stahlhelm. Bevorzugte Tragegelegenheiten für ihn sind die Amtshandlungen "Gefecht" (also Übungen und Manöver), feierlicher Appell und der Empfang von Disziplinarstrafen. Seine Eignung für das Gefecht ist umstritten, hat die Erfahrung doch gezeigt, dass er weder direktem Beschuss noch der Splitterwirkung von Granaten standhält. Im Gegenteil, bei Kradfahrern und den Besatzungen von geschlossenen Fahrzeugen hat er sich wegen seiner hinteren Kante als potentielle Gefahr für seinen Träger entpuppt, weshalb er während der Fahrt auch nicht mehr getragen werden darf.

Unbestritten jedoch ist sein Wert jedoch für feierliche Appelle und den Empfang von Disziplinarstrafen: Erzwingt er doch infolge von Unbequemlichkeit und Gewicht bei seinem Träger jene Demutshaltung, auf die höhere Vorgesetzte einen Anspruch haben. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass eben jene höheren Vorgesetzten selbst nie einen Stahlhelm tragen, es sei denn, sie sind selbst Gegenstand eines solchen feierlichen Appells.

Die Gefechtsübung des Bataillons lief wie am Schnürchen! Der Feind war eingekesselt, der Nachschub rollte, die Verbindungen klappten, der Hauptgefechtsstand rotierte genau nach Drehbuch. Der Bataillonskommandeur war rundum zufrieden.

Der Besichtigende, Brigadekommandeur und Oberst seines Zeichens, betrat den Gefechtsstand. Er trug das Barett in der linken, das Koppel in der rechten Hand. An seiner Parka waren alle Knöpfe offen, genau so der Reissverschluss. Das rechte Hosenbein war unter dem Knie gebunden, das linke hing lose herab. unten aus der Hose lugten ein paar hellbraune, hochhackige Cowboystiefel mit geprägten Ornamenten heraus.

Man kannte den Herrn Oberst. alles spritzte auf zur Meldung. Man konnte sehen, dass das Gesicht des Brigadekommandeurs blaurot angelaufen war, was nichts Gutes erahnen ließ. Der Bataillonskommandeur wurde blass und setzte zu seiner Meldung an. Er kam nicht so weit.

"So eine Scheiße", brüllte der Oberst," Wer ist verdammt noch mal für diesen Sauladen hier verantwortlich?"

"Ich verstehe nicht recht, Herr Oberst", druckste der Oberstleutnant, "Es läuft doch alles bestens. Wenn ich den Lagevortrag...."

"Ein Dreck läuft hier", die Stimme des Oberst überschlug sich," da läuft mir doch eben da draußen ein Feldwebel ohne Kopfbedeckung über den Weg! Unvollständiger Anzug! Wie wollen sie eigentlich eine geordnete Gefechtsübung abhalten, wenn sie nicht mal in ihrem Trümmerhaufen für einen einheitlichen Anzug sorgen können??? Im Gefecht trägt jeder denselben Anzug, von der Leitung bis zum Schützen Arsch! Ist das klar , Mann? Werden sie endlich tätig!!!!"

Solange der Oberst nach Luft rang, wankte der Oberstleutnant aschfahl zum Telephon: "Gefechtsstand Rück? ", ächzte er, "geben sie mir den S4. Hauptmann X.?. Leiten sie sofort die Beschaffung von zweihundert paar hellbrauner, hochhackiger und geprägter Cowboystiefel ein! Und sorgen sie dafür, dass ab sofort alle Soldaten in ihrem Bereich Koppel und Barett in der Hand tragen. Ja, Barett rechts, Koppel links!"

Danach brach er schluchzend zusammen.

Zur Umschlagseite zurückblättern  weiterblättern