2.1.3. Die Stil-und-Form-Neurose
Sie ist zwar kollektiv vorhanden, die Stil- und- Form-Neurose, aber in ihrer Auswirkung auf den einzelnen Soldaten gibt es doch recht deutliche Unterschiede, weshalb sie hier als subjektive Neurose angesehen wird.
Zur Erklärung: Was man bei normal Sterblichen normalerweise als Gutes Benehmen bezeichnet, wird in Soldatenkreisen, insbesondere auf der Führerebene zu dem Begriff Stil und Form glorifiziert.
Dabei wird es dem Nicht-Soldaten immer ein Geheimnis bleiben, was für eine Art Knigge als Grundlage dafür dient. Die Publikationen des besagten Freiherrn von Knigge können es nicht gewesen sein. Dabei ist der rein dienstliche Umgang mit Stil und Form relativ einfach: Der jeweilige Vorgesetzte hat im Umgang mit Untergebenen lediglich darauf zu achten, dass seine Stimme einen Schalldruck von 180 Dezibel nicht unterschreitet, und die einzige Höflichkeitsfloskel, die der Untergebene beherrschen muss, ist ein strammes und nicht weniger lautes "Jawoll". Schwierig wird Stil und Form, wenn entweder die Weiblichkeit ins Spiel kommt oder die nicht armeespezifische Öffentlichkeit.
Da titulierte doch jüngst ein Hauptfeldwebel die Schreibkraft seines Chefs etwas archaisch mit "Gnädige Frau", um ihr etwas Honig in den nicht vorhandenen Damenbart zu schmieren und so die Bearbeitung eines in Auftrag gegebenen Schriftstücks etwas zu beschleunigen.
Dies hörte ein zufällig anwesender Leutnant, und ganz auf Stil und Form bedacht, klärte er beide, Hauptfeldwebel und Schreibkraft darüber auf, dass letzterer der Titel "gnädige Frau" doch überhaupt nicht zustehen würde. Um "gnädig" sein zu können, müsse sie schon der Spitze der Gesellschaft angehören, also beispielsweise die Gattin eines Offiziers werden! Ja, wo sind wir denn?
Vor diesem Hintergrund gewinnt das Gerücht an Bedeutung, ein Regimentskommandeur habe vor einiger Zeit zu einem Manöverball eingeladen mit der Formulierung:
Zur Teilnahme befohlen sind:
Die Herren Offiziere mit ihren Damen
Die Unteroffiziere mit ihren Frauen
und die Mannschaften mit ihren Weibern
Stil und Form schlägt nicht ganz bis nach unten auf der Hierarchieleiter durch, die übliche Grenze ist so in etwa die Ebene der Spieße (Kompaniefeldwebel). Ein solcher brachte einem seiner Stabsdienstsoldaten in Anwesenheit seiner weiblichen Schreibkraft jüngst Manieren bei mit den Worten: "Ja, Müller, Sie Saubär, sie grauslicher! Sie können sich doch nicht hier im Beisein der armen Frau W. an den Eiern kratzen und den Pimmel auf die andere Seite legen! Die gute Frau könnte ja auf den Gedanken kommen, Sie wollten sie hier über den Tisch ziehen und pimpern!"
Na, wenn das nicht stilistisch formvollendet war!
Die drei folgenden Anekdoten mögen vielleicht nicht neu sein, aber sie sind symptomatisch für die Stil- und- Form- Neurose unter Soldaten:
| Herrenabend
Der Kommandeur hatte seine Offiziere zum gemeinsamen Abendessen gebeten (Anmerkung: üblicherweise "bittet" der Kommandeur, in der Realität ist das jedoch ein Befehl, dem sich Keiner zu widersetzen wagt) .Gemeldet waren ursprünglich zweiundzwanzig Teilnehmer, aber ein junger Leutnant musste sich abmelden, weil er sich die Masern eingefangen hatte. Zweiundzwanzig Schnitzel für einundzwanzig Personen! Ein Drama! Keiner wollte als so verfressen gelten, dass er sich das übriggebliebene Stück Fleisch nachlegen ließ, mochte es die Ordonnanz auch anbieten wie Sauerbier. Irgendwann wurde es dem Ordonnanz-Gefreiten zu dumm. Er stellte die hölzerne Platte mit dem verwaisten Schnitzel mitten auf die Tafel und entfernte sich. Plötzlich: Stromausfall. Alles stockdunkel! Nach einigen Sekunden durchdrang ein fürchterlicher Schrei das Kasino. Als kurze Zeit später die Ordonnanz mit einer brennenden Kerze den Raum betrat, beleuchtete sie folgendes Bild: Die bloße Hand des Kommandeurs lag auf dem Schnitzel auf der Holzplatte, durchbohrt und festgenagelt von zwanzig Gabeln....... |
| Wiederum Herrenabend.
Der nicht mehr ganz junge Kommandeur, seit acht Jahren verheiratet mit einer deutlich jüngeren und sehr attraktiven Blondine und bisher kinderlos geblieben (was hinter der vorgehaltenen Hand schon Anlass für Spekulationen gab), wird im Verlaufe des Abends ans Telefon gerufen. Als er wieder zurückkehrt, klopft er an sein Glas und hebt, nachdem Ruhe eingekehrt ist, zu folgender kurzen Ansprache an: "Meine Herren, das Kreiskrankenhaus hat mich soeben verständigt, dass meine Frau von einem strammen Jungen entbunden wurde. Ich danke Ihnen, meine Herren!" |
| Gesellschaftsabend mit Damen
Der junge Leutnant X., berüchtigt für seine unflätigen Witze, war vor Beginn der Veranstaltung eindringlich vom Kommandeur ermahnt worden, sich in Damengesellschaft zurückzuhalten. Dennoch erhob sich X. zu vorgerückter Stunde, um einen eigenen Beitrag zur allgemeinen Fröhlichkeit zu leisten: "Ich hab da ein kleines Rätsel", rief er in die Runde, " wo sind die Eier am heißesten?" Peinliches Schweigen! Der Kommandeur lief rot an: "X.", brüllte er, "ich hab Ihnen doch gesagt, Sie sollen diese Schweinereien unterlassen!" Doch der unterbrach ihn: " Nicht, was Sie denken, Herr Oberstleutnant! In der Pfanne sind die Eier am heißesten!" Allgemeines befreites Gelächter. Nur der Kommandeur war nachdenklich. "So ein Blödsinn, X.", rief er nach einigen Sekunden aus, " Wer wird sich denn schon mit nacktem Hintern in eine heiße Pfanne setzen.?" |