2.3.3. Die Kompetenz- und Entscheidungsneurose
| Noch in den sechziger Jahren fühlte sich ein als Gruppenführer
eingesetzter Unteroffiziersanwärter für kompetent genug, für
seine Gruppe eine Zigarettenpause zu befehlen, wenn er die Zeit dafür
für gekommen hielt. Heutzutage traut sich das allenfalls ein
Zugführer, und das auch nur dann, wenn er den Kompaniechef in sicherer Entfernung weiß.
In den siebziger Jahren traute sich normalerweise ein Zugführer noch, seinen Ermessensspielraum im Rahmen des Erlasses "Erzieherische Maßnahmen" auszuschöpfen, und im Bedarfsfall den vom Dienstplan her angesetzten Dienst um eine Stunde zu verlängern oder auch zu verkürzen. Es reichte, den Kompaniechef zu informieren. Heute bedarf es dazu der Genehmigung durch den Kompaniechef und eines schriftlichen Befehls. Anfang der achtziger Jahre, traute man es besagtem Zugführer noch zu, eine mehrtägige Übung verantwortlich zu leiten, und jener traute sich, bei schlechten Wetterbedingungen aus Fürsorgegründen eine solche Übung zeitweilig zu unterbrechen und seinen Zug zum Aufwärmen und zu einer Zwischenbesprechung in einer Kneipe zu versammeln (Natürlich unter Beachtung des Alkoholverbotes). Heutzutage bedarf es für eine Solche Entscheidung schon eines Bataillonskommandeurs. |
Egal, um was es für eine Entscheidung heutzutage geht, jeder militärische Führer untersucht die Frage immer nach solchen Gesichtspunkten:
Eine solche Entscheidungsfindung kann dauern, dazumal sie ja letztlich um den im Vorwort erläuterten Regelkreis erweitert werden muss. Stehen für ein und dieselbe Entscheidung mehrere Personen zur Auswahl, die sei treffen könnten, entscheidet in der Regel der, der die schlechtesten Nerven hat. Die anderen warten ab, was dabei herauskommt. War die Entscheidung ok, waren sie natürlich beteiligt. Geht es in die Hose, haben sie es ja gleich gewusst und hätten selbstverständlich anders entschieden.
| Besser eine falsche Entscheidung als gar keine!
Ein Taktiklehrer 1971 an der Fernmeldeschule des Heeres, ein Grundsatz, der längst seine Gültigkeit verloren hat! |
Dabei gibt es fünf Dinge, die jeden militärischen Entscheidungsträger jedweder Größenordnung zutiefst nervös und neurotisch machen:
Die Neurose, sie zählt zu den schwersten Formen, ist programmiert, und gilt mit den heutigen Möglichkeiten als unheilbar. Selbst lange nach der Pensionierung oder anderweitiger Außerdienststellung schlägt sie periodisch auf den befallenen durch.
Zur Untermauerung dieser These seinen folgende drei Beispiele erwähnt:
Ein Stabsfeldwebel a.D., heute 60, ehemals Kompaniefeldwebel, lässt sich heute noch von seiner Frau täglich die Dienstantrittstärke seiner Familie melden. Und das, obwohl die Familie mittlerweile nur noch aus ihm, seiner Frau und seinen beiden Katzen besteht
Ein Hauptmann a.D., ehedem Versandleiter in einer Depotorganisation und als solcher für die Sicherheit für von ihm abgefertigter Ladungen verantwortlich, lässt regelmäßig vier Wochen vor Antritt einer Urlaubsreise seine Familie das komplette Reisegepäck verpacken und nach Beladeplan im Familien-PKw verstauen. Anschließend muss die gesamte Familie ins Auto steigen und es wird eine Proberunde um den Häuserblock gefahren und argwöhnisch kontrolliert, ob irgendwo etwas lose ist oder klappert. Danach wird entladen und wieder ausgepackt. Er selbst entscheidet anhand seines Plans, was letztlich vier Wochen später auf die Reise mitgeht und was nicht. Dabei macht er gerüchteweise auch nicht vor den Büstenhaltern seiner Frau nicht halt.
Apropos Büstenhalter:
1947, nach dem Krieg, und als man der Auffassung war, man brauche nie wieder Militär, war da noch jener Oberstleutnant, der solcherart arbeitslos geworden, sich nach einem anderen Broterwerb umsehen musste. Das war nicht einfach, denn außer Soldat sein, hatte er ja nichts gelernt, Schließlich kam er als Lagerhelfer in einer Trikotagen-Fabrik unter, wo er die verantwortungsvolle Aufgabe erhielt, Damenhöschen und Büstenhalter in getrennte Regale einzusortieren.
Die Arbeit ging ihm schwer von der Hand und er lag immer weit unter den vorgegebenen Akkordsätzen. Schließlich entschloss sich der Abteilungsleiter, der Sache auf den Grund zu gehen. Bei einer Kontrolle fand er den Oberstleutnant a.D. mit sorgenvoller Mine auf einem Stapel Wäsche sitzend, in der einen Hand ein Höschen, in der anderen einen Büstenhalter." Ich weiß nicht, ich weiß nicht" seufzte er, " immer diese Sofortentscheidungen.
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