2.3.4. Die Geheimhaltungsneurose

Der Chef weiß etwas über alles.

Der Sachbearbeiter weiß alles über etwas.

Die Schreibkraft weiß alles über jeden.

Die Telefonzentrale weiß alles über alles

Der, den es angeht, weiß von allem nichts.

Wissen ist Macht, aber nichts wissen, macht auch nichts.

Informationen sind das halbe Leben. Das ist auch beim Militär so. Im Grunde kann nur der seinen Job vernünftig ausüben, der über möglichst viel Information verfügt, doch beim Militär ist das nicht so einfach.

Da werden Informationen nach ihrem Inhalt eingestuft und selektiert, und es wird festgelegt, wer zu welcher Information Zugang haben darf. Das hat theoretisch den Sinn, dass geheimzuhaltende Nachrichten auch tatsächlich geheim bleiben. Doch wie geheim eine Nachricht denn zu sein hat, entscheidet im Wesentlichen ihr Verfasser, und das ist eine Geschichte, die merkwürdige Blüten treibt. In der ehemaligen NVA z.B. soll das jeweilige örtliche Telefonverzeichnis einer Dienststelle schon so geheimhaltungsbedürftig gewesen sein, dass es täglich zum Feierabend in einen Panzerschrank einzuschließen war. Nun gibt es ja Leute, die sich mühelos ein Dutzend Telefonnummern auswendig merken können, und ich frage mich, was hat man nach Feierabend mit den Köpfen dieser Leute gemacht?

In der Bundeswehr gibt es Informationen, die gelten als offen, d.h. jeder, auch jeder Nicht-Bundeswehrangehörige darf davon Kenntnis haben. Dazu gehört beispielsweise die Information, dass es die Bundeswehr gibt und dass ihre primäre Aufgabenstellung die Landesverteidigung im Kriegsfalle   im Verbund mit der Nato ist. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass sie sich in Heer, Luftwaffe und Marine aufteilt und sich auf Kasernen über die ganze Republik verteilt. Auch die Tatsache, dass es sich bei der Bundeswehr (noch) um eine Wehrpflichtarmee handelt, ist so eine offene Information.

Darüber hinaus wird es bereits schwierig. Fragen wie: In welcher Kaserne liegt welcher Verband oder welche Einheit, wann beginnt die Bundeswehr morgens ihren Dienst, wann hat sie Feierabend, wie sieht der Speisplan in der Truppenküche aus und wie viel Soldaten hat ein Bataillon sind im Grunde bereits Verschlusssache- Nur für den Dienstgebrauch.

So muss genaugenommen ein Soldat am Telefon die Auskunft auf die Frage verweigern, wer sein Bataillonskommandeur ist, obwohl der Interessierte das auch fast täglich aus der lokalen Presse entnehmen kann. Auch die Tatsache, dass in der xyz-Kaserne das Panzerartillierie- Battaillon zyx stationiert ist und mit 205-mm Panzerhaubitzen ausgerüstet, ist so eine "Nur für den Dienstgebrauch" -Information. Dabei kann jeder militärisch halbgebildete anhand von Vehikel-Typ und allenthalben angebrachten taktischen Zeichen die jeweilige Zuordnung selbst vornehmen. Und was den Dienstbetrieb betrifft, so wissen in aller Regel die Anwohner einer Kaserne besser Bescheid als die Soldaten selber.

Alles, was darüber hinausgeht ist so geheimhaltungsbedürftig, dass, sofern es schriftlich festgehalten ist, das Papier Blatt für Blatt penibel registriert und nachgewiesen und in einem Panzerschrank aufbewahrt werden muss.

Wer Zugang zu solchen Informationen hat, entscheidet zunächst einmal der Militärische Abschirmdienst (MAD) nach akribischer Prüfung der Person. Für den Aspiranten bedeutet das zunächst einmal das Ausfüllen eines umfangreichen Fragebogens und das Beibringen von Referenzen. Wehe dem, der da ein kurzes Gedächtnis hat und seinen Lebenslauf nicht Tag für Tag belegen kann, oder wer sich etwa nicht daran erinnert, dass er mal 1965 auf dem Transitweg Berlin besucht hat oder dass er einen Vetter dritten Grades hat ,der in der LPG "Ernst Thälmann" irgendwo bei Rostock Futtermittelverwalter war. Der MAD findet das raus, und dann sind zumindest viele unangenehme Fragen zu beantworten.

Ob dann ein Kandidat tatsächlich Zugang zu solchem Material enthält, entscheidet der jeweilig übergeordnete Dienststellenleiter. Sollte eine solche und schriftlich bestätigte Entscheidung mal versäumt werden, dann kann es schon mal passieren, dass der örtliche Verschlusssachenverwalter seinem Dienststellenleiter den Zugang zu seinen eigenen Verschlusssachen verweigern muss.

Über Inhalte von solchem unter Verschluss gehaltenen Material kann ich mich naturgemäß nicht auslassen, schon allein deshalb, weil ich nicht weiß, was von dem, was mir fünf Jahre nach meiner Pensionierung noch in Erinnerung ist, noch aktuell ist. Bedenklich finde ich allerdings den Umstand, dass in einer Fernsehsendung am 01.12.1998 (ZDF, "Der dritte Weltkrieg" ) im Rahmen der Spielhandlung Codeworte  und Verfahren genannt wurden, die zu meiner  Zeit noch als "Streng Geheim" eingestuft waren. Nun ja, die Zeiten ändern sich... Besagte Sendung war zumindest gut recherchiert.

Statt dessen zum Schluss der Betrachtung einen albernen Witz:

Besagter Gefreiter Grubeler (s. Wach- und Bereitschaftsneurose) war über den Beschwerdebescheid seines Chefs derartig sauer, dass er seinen Chef beim Namen nennend, in seiner Stammkneipe als "kompletten Idioten" bezeichnete. G. wurde daraufhin mit 21 Tagen Disziplinararrest bestraft. Der Straftenor setzte sich wie folgt zusammen:

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