Donnerstag, 9. Mai

Kommissar Berteau wurde von Richter de Lacroix am Hotel Atlantique abgeholt. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, am Kommissariat vorbeizufahren und <la Tempête> gleich mit zum Showdown zu nehmen. Der Dienstwagen des Richters war aber eine normale Limousine, und da er einen Chauffeur in Anspruch nahm, mußte Berteau sich in den Fond des Wagens zwängen. So war für ein Gemälde dieser Abmessungen einfach kein Platz.

Im Grunde war es ihm auch recht, wenigstens ein Beweismittel in der relativen Sicherheit der Dienststelle zu wissen. Es war ja höchst unklar, was bei der illustren Versammlung herauskommen würde.

Gegen halb acht bogen sie auf den Strandparkplatz gegenüber dem Fort ein. Was Berteau als erstes auffiel, war die Tatsache, daß etwas abseits ein Armeehubschrauber abgestellt war, der von dem grimmig dreinschauenden Piloten bewacht wurde. Papin mußte es ja mächtig wichtig und eilig haben.

 

Für diese Tageszeit war der Parkplatz schon erstaunlich frequentiert. Der Kommissar zählte außer ihrem eigenen sechs weitere Fahrzeuge. Die Bevölkerung des Orts wunderte sich sicherlich, wenn sie erst einmal die Köpfe aus den Häusern steckte.

Es herrschte noch Flut, und der alte Georges hatte wohl schon mehrere Fahrten mit dem Boot hinter sich. Jetzt lag das Boot unten am Anleger. Außer Georges saß ein weiterer Mann im Boot und wartete auf Ihre Ankunft. Als sie näherkamen, erkannte Berteau seinen Kollegen, Kommissar Moreau aus Rennes.

Sie begrüßten sich, und auf Berteaus Frage stellte Moreau fest, er habe keine Ahnung, zu welchem Zweck man ihn herbeizitiert habe.

Während der Überfahrt erzählte der Kunstexperte dem Mordexperten den Grund für seine Anwesenheit. Damit wurde allerdings die Frage um Moreaus Präsenz auch nicht erhellt. Nun, man würde ja sehen.

Die Versammlung fand in der großen Halle statt. Monsieur Papin erwies sich als kleinwüchsiges Männchen im korrekten Zweireiher, das eine ungeheure Dynamik ausstrahlte. Er trug eine dicke Hornbrille, die seine zur Schau getragene Wichtigkeit unterstrich. Der Graf war anwesend, ebenso Monpas, der Redakteur und Soutif, der Versicherungsfritze. Berteau registrierte weiterhin Kasurintin le Breton, der sich sichtlich unwohl fühlte, und natürlich seine sieben Gendarmen.

Vier der anwesenden Personen kannte Berteau nicht. Einer davon war ein schnauzbärtiger Greis mit wichtigem, militärischen Gehabe, ein zweiter verkörperte eher den Typ des angloamerikanischen Geschäftsmannes. Die übrigen Beiden gaben sich so betont auffällig unauffällig, daß Berteau aus ihrem Verhalten schloß, sie mußten Papins Wachhunde sein.

Einige Minuten vor acht fragte Papin den Grafen, ob man denn vollzählig sei. Der wirkte irritiert: " Der Marquis fehlt noch, der Pilot hat gerade durchgegeben, daß er drüben am Strand vorgefahren ist. Es wird wohl noch ein halbe Stunde dauern, bis ihn Georges übergesetzt hat. Und mein Bruder. Ich kann ihn nirgendwo erreichen. Weiß der Teufel, wo der wieder steckt!"

Berger hüstelte künstlich: "Ach so, das hätte ich ja fast vergessen !" . Er ging zu der Wand mit der Geheimtür und hob die Hand vor den Sensor: "Sesam, öffne Dich!"

Die Geheimtür öffnete sich und Berger blockierte sie mit dem Fuß. Direkt neben der Tür saß ein Häufchen Elend auf dem Fußboden, bekleidet mit einem lächerlich wirkenden Seefahrerkostüm des achtzehnten Jahrhunderts und geschwärztem Gesicht. Neben ihm lag eine Art Kürbis mit aufgemalter Visage, auf dem man einen breitkrempigen Hut mit einer riesigen Feder drapiert hatte.

"Voila, Monsieur le Comte," Berger bog sich vor Lachen., "nehmen Sie zur Not auch mit Ihrem Ur-Ur-Ur-Großonkel vorlieb?"

Der Kostümierte sprang mit einem Wutschrei auf und packte Berger am Revers: "Berger, Sie Miststück, das waren Sie! Das ist glatte Freiheitsberaubung! Seit Mitternacht sitze ich hier fest! Wie haben Sie das gemacht?"

Berger schüttelte den Aufgebrachten mühelos ab: "Oh, sieh da! Monsieur le Maître! Ja haben Sie denn noch nie davon gehört, daß moderne Technik meistens versagt, wenn sie auf alte Geister trifft? Ja, wenn wir gewußt hätten, daß Sie die ganze Nacht hier hinter der Wand hämmern! Aber wir haben uns nicht getraut, nachzusehen. Zu eindringlich war gestern Ihre Warnung vor ihrem kopflosen Ahnherrn!"

Die Gesellschaft nahm die Szene mit unterschiedlichem Grad der Erheiterung auf. Lediglich César Papin hatte keinen Sinn für derartige kabarettistische Aufführungen: "Monsieur,", herrschte er den jüngeren Kergac an, "an Ihrer Stelle würde ich mich umgehend säubern und umziehen. Oder wollen Sie in dieser lächerlichen Aufmachung an unserer Sitzung teilnehmen?"

Yves de Kergac verzog sich grollend. Der Zwerg Papin beherrschte mit seiner Stimme den Raum. "Messieurs, ich schlage vor, wir beginnen, auch wenn wir nicht ganz vollzählig sind. Das gibt mir die Gelegenheit, zunächst ein paar Dinge zu erklären, die sowieso nicht unbedingt für die Ohren des Marquis de Frèsnes bestimmt sind."

Er wandte sich an Berteau: "Monsieur le Commissaire, ich darf Sie zunächst fragen, ob wir für die Dauer der Besprechung nicht auf die Gendarmerie verzichten können, ausgenommen Ihren Assistenten Monsieur Berger. Es gibt Dinge zu besprechen, die einigermaßen vertraulich zu behandeln sind."

Berteau zuckte mit den Schultern und bedeutete den Uniformierten, sich zu entfernen. Nachdem sie abgezogen waren, ergriff Papin wieder das Wort: "Messieurs, nachdem Sie sich kaum alle wechselseitig kennen werden, darf ich zunächst mit der Vorstellung beginnen. Mein Name ist Papin, ich komme vom Innenministerium. Über meine Abteilung werde ich gleich einige Worte sagen. Die beiden Herrn dort" , er zeigte auf seine Gorillas, "gehören zu meiner Begleitung. Es ist anwesend der Hausherr, der Comte de Kergac. Die Vogelscheuche von grade eben war wohl sein jüngerer Bruder, der Maître de Kergac, wenn ich mich nicht irre. Links herum haben wir zuerst den Maler le Breton, dann Monsieur Monpas, Redakteur der Ouest France, dann Monsieur Soutif von der Assurance Culturelle, hier auf der rechten Seite haben wir den General a.D. Mousterlin und den Herren, der in Verkäuferkreisen als Mister Meyers aus Philadelphia oder Mister Ewing aus Dallas /Texas bekannt ist. Wundern Sie sich nicht, wenn der Marquis de Fresnes gleich kommt, und Mister Meyers als Lord Pembroke aus Shefield / England anspricht. Das hat schon seine Richtigkeit. Mister Meyers ist auch heute inkognito hier. Von der Polizei begrüße ich Kommissar Berteau und seinen Assistenten Monsieur Berger, die in unseren Fall involviert sind, sowie Kommissar Moreau aus Rennes. Nicht zuletzt begrüße ich Untersuchungsrichter de Lacroix, der mit seinem Durchsuchungsbefehl diese Versammlung unwissentlich erzwungen hat. Kommissar Moreau hat vermutlich keine Ahnung, warum er hier ist, aber wenn wir hier schon reinen Tisch machen und den Marquis de Fresnes -gegen seinen Willen übrigens- im Hause de Kergac haben, können wir auch alte Unklarheiten ausräumen."

Georges erschien mit Getränken, und Papin unterbrach seine Rede, bis der Butler serviert hatte.

Dann fuhr er fort: " Messieurs, zuerst zu meiner Rolle in diesem Spiel, und das ist die Information die absolut vertraulich zu behandeln ist. Ich bin der Leiter der sogenannten Abteilung achtzehn im Innenministerium. Diese Abteilung finden Sie in keinem Telephonverzeichnis, und sie hat auch keinen ausgewiesenen Etat, man könnte sagen, sie hat einen gewissen geheimdienstlichen Charakter.

Die Abteilung achtzehn wurde gegründet nach dem Zweiten Weltkrieg und hatte zunächst die Aufgabe, im wiederangeschlossenen Elsaß und im damals annektierten Saarland unterschwellige deutschfreundliche seperatistische Gefühle zu kontrollieren und zu kanalisieren. Nachdem feststand, daß das Elsaß kein Problem und das Saarland nicht zu halten war, hat sich denn auch der Auftrag der Abteilung geändert.

Vereinfacht gesagt, kümmern wir uns auf subtile Weise um die noch vorhandenen aktiven Seperatistenbewegungen, wie die FLNC in Korsika, die ETA, soweit sie den französischen Teil des Baskenlandes betrifft, die Action Directe und, last but not least, die Bretonische Druidenloge.Kurz, in unseren Bereich fällt alles, was militant die Abspaltung von Frankreich oder einen Umsturz beabsichtigt.

Wie schon gesagt, meine Abteilung hat keinen offiziellen Etat. Nichts desto weniger arbeiten wir und einige mit uns kooperierende Gruppierungen mit beachtlichen Geldern aus diesem nichtexistierenden Budget, so unter anderem auch der Bretonische Kulturverein.

Massiv gehen wir nur gegen Leute vor, die ihrerseits aktiv gewalttätig sind. So haben wir beispielsweise die führenden Köpfe der französischen ETA aus dem Verkehr gezogen und, soweit es möglich war, auch nach Spanien ausgeliefert.

Ansonsten versuchen wir, die uns bekannten Gruppierungen dadurch klein zu halten, daß wir ihre Logistik austrocknen. Vereinfacht ausgedrückt: Wir versuchen ihnen das erforderliche Betriebskapital zu entziehen, ohne daß sie es merken. Die Aktion "Alte Meister" ist ein Teil dieser Strategie.

Es gibt derzeit Anzeichen dafür, daß sich ein Teil unserer Zielgruppen anschicken, ihre Aktionen wieder zu verstärken. Der Grund liegt unter anderem in dem schlechten Beispiel, das derzeit auseinanderbrechende Staaten auf dem Balkan und in Osteuropa liefern. So etwa nach dem Motto: Wenn die das können, warum können wir das nicht auch. Die Regierung von Frankreich ist deshalb auch sehr zögerlich mit der Anerkennung jener Splitterstaaten, die da neuerdings entstehen.

So wissen wir beispielsweise, daß die FLNC derzeit ihre Bombenbastler wieder zusammenzieht. Es ist damit zu rechnen, daß noch dieses Jahr irgendwo ein größerer Anschlag geplant ist.

Von der Druidenloge wissen wir, daß sie mit bisher mäßigem Erfolg versucht, ein umfangreiches Waffenarsenal anzulegen, um nach dem Muster der IRA Guerillakrieg zu betreiben."

Der Marquis de Fresnes wurde gemeldet und trat ein. Berteau, der den Marquis im Rahmen seiner Ermittlungen immer wieder mal aufsuchen wollte und es immer wieder verschoben hatte, betrachtete den Ankömmling aufmerksam. Er mochte Mitte fünfzig sein, hatte aber bereits schlohweißes Haar, das ihm in wirren Strähnen vom Haupte hing. Der Marquis war sehr groß, knapp an die zwei Meter und hager, fast dürr zu nennen. Er war in einen jener altmodischen Jagdanzüge mit Knickerbocker gekleidet, was seiner Figur einen einigermaßen lächerlichen Anstrich verlieh. Außerdem schien er Rückenprobleme zu haben, den er benutzte als Gehhilfe einen Knotenstock und preßte den linken Unterarm in den Bereich der Lendenwirbelsäule.

Papin begrüßte den Neuankömmling ungnädig, verzichtete auf eine neuerliche allgemeine Vorstellung und bedeutete ihm, sich irgendwo niederzulassen. De Fresnes bekam einen roten Kopf und schickte sich an, zornig den Saal wieder zu verlassen. Aber Papins Gorillas flankierten so demonstrativ die Tür daß er es sich anders überlegte.

Die Aufmerksamkeit, die der Marquis auf sich zog, nutzte Yves de Kergac, jetzt im normalen Staßenanzug, sich klammheimlich auch wieder in die Versammlung einzuschleichen, so daß diese jetzt komplett war.

Papin raschelte mit den Papieren, die er vor sich ausgebreitet hatte: "Nun, kommen wir zum eigentlichen Zweck unseres Hierseins. Im Falle der Druidenloge oder genauer gesagt, der Action Breton Autonomique, beschränken wir uns seit einigen Jahren damit, die Logistik dadurch zu kontrollieren, daß wir ihre Finanzierung, na sagen wir mal, steuern.

Der entscheidende Durchbruch gelang uns, als die Action den Versuch machte, ihr Kapital an der Börse zu vermehren. Der von uns lancierte Anlagenberater sorgte dafür, daß die Vereinigung einen herben Verlust erlitt und seither finanziell hart am Ruin entlangschrammt."

Der Marquis schnappte hörbar nach Luft, und Papin sah ihn einige Sekunden lang abwartend an. De Fresnes verzichtete darauf, Zwischenfragen zu stellen, und Papin setzte seinen Vortrag fort.

"Nun, über nennenswerte Industriebeteiligungen oder ähnliches verfügen der Marquis und seine Freunde nicht, so daß eine der wenigen verbleibenden Möglichkeiten, das Budget zu konsolidieren, der Verkauf von im Laufe von Jahrhunderten gehorteten und zahlreich vorhandenen Besitztümern war. Unser Problem war, diesen Verkauf so zu kontrollieren und zu steuern, daß sich einerseits der ganz große geschäftliche Erfolg nicht einstellen konnte und andererseits die Kontrolle möglichst unbemerkt blieb. Das wäre in die Hose gegangen, wenn der Staat von seinem gesetzlichen Vorkaufsrecht allzu deutlich Gebrauch gemacht hätte

Da kam uns der Umstand zu gute, daß die führenden Köpfe der Loge zwar Aristokraten, aber keine Geschäftsleute sind. So war es relativ leicht, die Verkäufe so zu steuern, daß z.B. die Bilder, um die es hier geht , zwar einen fairen Preis, aber nicht den erzielten, der auf dem Markt, beispielsweise über Sotherbys, möglich gewesen wäre.

Nachdem Sie, Monsieur le Marquis, ja leidenschaftlich daran interessiert sind, dem französischen Staat in irgendeiner Form Schaden zuzufügen, und nachdem der Abfluß einheimischen Kulturguts ins Ausland in Ihren Augen ja so ein Schaden ist, entwickelten wir folgenden Plan:

Man mußte Ihnen und Ihren Freunden klar machen, daß man am Besten an weniger bekannte ausländische Sammler verkaufte, die Ihnen von unseren Leuten vermittelt wurden. Es ging also lediglich darum, andere Interessenten weitgehend fernzuhalten, so konnten wir in den meisten Fällen auch den Preis diktieren. Und so gingen zum Beispiel Degas Felsenriff und Renoirs Mädchenportrait an Lord Pembroke, der, wie Sie sicher bemerkt haben, Marquis, heute auch hier anwesend ist. Das liegt daran, daß der Lord unter anderem einer meiner Mitarbeiter ist.

Sie nehmen richtig an, daß der Verkauf jeweils nur zum Schein ins Ausland getätigt wurde. Lord Pembroke und die anderen Aufkäufer handelten nur als Strohmänner des Bretonischen Kulturvereins, der mit uns das größte Interesse daran hat, daß die wichtigsten Kulturgüter im Land bleiben.

Um nun den tatsächlichen Sachverhalt vor der Druidenloge verdeckt zu halten, haben wir uns einer komplizierten Konstruktion bedient, die wir für genial hielten, so lange uns niemand auf die Schliche kam. Hätte man es einfach bei dem Verkauf belassen, so hätten unsere Bilder für lange Zeit in der Versenkung verschwinden müssen, und das lag nicht in unserer Absicht. Also wurden die Objekte hoch versichert und dann während des Transportvorgangs "gestohlen". Nach Wahrung gewisser Fristen sollten die "Käufer" abgefunden werden und die Bilder damit bei Ihrem Wiederauftauchen auf dem Umwege über die Assurance Culturelle in den Besitz des Kulturvereins übergehen.

 

 

Die Frage war, wo die Bilder, von denen wir hier sprechen, so lange deponiert werde sollten. Nun, ich selbst hab ein wenig einen Hang zum Melodramatischen, und es war meine Idee, sie einfach zeitweilig übermalen zu lassen. Zur Ehrenrettung von Kasurintin le Breton, der das für uns übernommen hat, muß gesagt sein, daß er das nur nach einem deutlichen Hinweis auf seine Vergangenheit und die daraus möglicherweise erwachsenden Schwierigkeiten erledigte.

Nun, wenn eine ganze Serie von Verbrechen angezeigt wird, und angezeigt mußte sie ja werden, damit sie bekannt wurden, dann bleibt dem Staat nichts anderes übrig, als ermitteln zu lassen. Hier kommen nun Sie ins Spiel, Monsieur Berteau.

Um der Angelegenheit den Schein der Wichtigkeit zu geben, wurden Sie eigens aus Paris hierher beordert. Wir waren uns zu sicher, den Zeitpunkt, an dem Sie mit Ihrer Fahndung Erfolg haben sollten, vorherbestimmen zu können. Sie sollten, das war unser Plan, na sagen wir mal, die ersten drei der Gemälde tatsächlich wiederfinden, allerdings erst zu einem Zeitpunkt, zu dem die Versicherungsfristen abgelaufen wären. Danach hätte man Sie hier wieder abgezogen und den Rest der örtlichen Polizei überlassen. Die Gemälde sollten zu dem Zeitpunkt, an dem Sie sie aufspüren sollten, bereits wieder in ihren Urzustand zurückgeführt worden sein. Man hätte sie dann bei irgend einem Hehler deponiert und dezent Ihre Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Das wäre in gut einem Monat etwa gewesen.

Drei Wochen lang haben Sie sich auch so verhalten, wie wir es von Ihnen erwartet haben. Sie haben, wie es sich für einen anständigen Theoretiker gehört, versucht die Geschichte von Ihrem Schreibtisch aus zu lösen, und wir waren uns sicher, daß Sie auf diese Art und Weise zu keinem unvorhergesehenen Ergebnis kommen würden. Unsere einzige Sorge war, es könnte Ihnen vorzeitig langweilig werden und Sie könnten versucht sein, die Akten einfach zu schließen. Wir hätten Sie im Grunde nicht wirklich daran hindern können."

Er sah Berteau, der jetzt unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte, über den Rand seiner Brille an:

"Das bedeutete, uns kam es gerade zu Paß, daß die Gebrüder Didier ihre Kirchenräubereien wieder aufnahmen. Das war etwas, womit wir Sie einstweilen beschäftigen konnten. Wieso Sie allerdings nun plötzlich Ihre Arbeitsweise änderten und die Leute in Ihren Schlupfwinkeln aufsuchten und damit unnötig nervös machten, ist mir noch nicht ganz klar.

Dann geschahen zwei unvorhersehbare Dinge in Folge: Gewöhnliche Räuber stahlen eines unserer Bilder noch mal, und unser genialer Fälscher, aus dessen Gewahrsam es verschwand, bekam es mit der Angst zu tun. Seine Auftraggeber waren Ihm wohl zu exklusiv, als daß er es gewagt hätte, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen. So wandte er sich an Sie.

Dabei wäre es für uns zwar ärgerlich, aber zu verschmerzen gewesen, wäre das Gemälde auf Dauer verschwunden geblieben. So jedoch mußten wir damit rechnen, daß Sie uns auf die Schliche kommen würden, sollten Sie <la Tempête> in die Finger bekommen und sich damit näher befassen.

Und genau das ist ja nun auch geschehen.

Meine folgenden Worte richten sich gleichermaßen an Sie, Ihren Assistenten und an Richter de Lacroix: Was ist im juristischen Sinne geschehen? Der Marquis und seine Freunde sind getäuscht worden, aber nicht einmal arglistig, denn sie haben einen angemessenen Preis erzielt!

Ansonsten haben sich Geld und Ware zweimal im Kreis bewegt, ohne daß ein Schaden entstanden ist. Was bleibt, ist also allenfalls der Tatbestand der Vortäuschung einer Straftat und Irreführung der Behörden, wobei eine Behörde, nämlich meine, unmittelbar daran beteiligt war."

Er ordnete seine Papiere neu und sah in die Runde: "Könnten Sie sich vorstellen, die Angelegenheit einfach auf sich beruhen zu lassen, wenn ich Ihnen erkläre, daß es im öffentlichen Interesse liegt, daß die Sache nicht an die große Glocke gehängt wird?"

Die drei Angesprochenen sahen sich vielsagend an. Berteau äußerte sich als erster: "Patt", knurrte er.

Papin sah ihn irritiert an: "Wie bitte?"

Der Kommissar winkte ab: " Ach nur ein Ausdruck aus dem Schachspiel! Weiß hat an sich die bessere Position und könnte Schwarz matt setzen, ist aber nicht am Zug. Und schwarz kann nicht mehr ziehen!"

Er erhob sich und begann in der Halle auf und ab zu gehen. "Seit Tagen fühle ich mich wie ein Läufer, der von unsichtbarer Hand auf einem Schachbrett hin und her geschoben wird, und das ärgert mich sehr! Sagen sie, Monsieur Papin, was sollte mich Ihrer Meinung nach dazu bewegen, so zu tun, als wäre hier außer Spesen nichts gewesen?"

Papin lächelte süffisant und wedelte mit einem Blatt Papier: "Weil ich davon überzeugt bin, daß jeder Mensch zu einem gewissen Grade bestechlich ist. Wenn Sie sich von mir überzeugen lassen, bin ich befugt, Ihnen hier und heute als Anerkennung für Ihre Verdienste Ihre Beförderung zum Hauptkommissar auszuhändigen, bei gleichzeitiger Aufwertung Ihres bisherigen Subdezernates zum selbständigen Dezernat. Und ich verspreche Ihnen auch, daß wir Ihre Spesenrechnung für diesen Fall ohne Nachprüfung begleichen werden!"

" Ha!", moserte Berteau, " ein glatter Bestechungsversuch also! Und der auch noch ausgehend von meiner obersten vorgesetzten Behörde! Und was ist, wenn ich mich nicht auf den Kuhhandel einlasse?"

Papin wiegte nachdenklich den Kopf: "Oh, Monsieur le Commissaire, Sie enttäuschen mich. Sie wissen doch sicher, was man mit Beamten macht, die nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen. Man versetzt sie irgendwohin, wo sie keinen Unsinn mehr anstellen können. In Französisch-Polynesien werden immer wieder tüchtige Leute aus dem Mutterland gebraucht, weil es die dortigen Polizeibeamten nicht so genau nehmen."

Berteau stellte seine Wanderung ein und nahm wieder Platz: " Also auch noch Nötigung! Na, dann schon lieber Hauptkommissar! Aber was ist mit Berger, den ich durch die Art und Weise, wie ich Ihn an mich gebunden habe, bei der Gendarmerie sowieso in eine unmögliche Position gebracht habe? Was bieten Sie ihm und dem Richter an?"

Papin rieb sich nachdenklich den Nasenrücken: "Was denn Richter betrifft, so hoffe ich, daß er sich mit der Erkenntnis zufrieden gibt, daß es hier für einen Prozeß einfach nicht reicht. Und den Strafbefehl, den er gegen die Beteiligten auf Seiten des Kulturvereins bewirken könnte, bezahlen diese aus der Portokasse. Warum also einen Skandal provozieren, wenn öffentliches Interesse darin liegt, daß er vermieden wird?

Vielleicht besänftigt ihn auch die Tatsache, daß ich seinem Schwiegersohn in spe etwas anzubieten habe. Wie ich höre, hat Monsieur Berger ein wenig Probleme mit der Karriereleiter, weil ihm für die gehobene Laufbahn ein paar Voraussetzungen fehlen. Wenn Sie, Monsieur le Commissaire, ihm eine ordentliche Beurteilung geben und er damit einverstanden ist, an der Polizeiakademie in Rennes in einer Art Crash-Kurs , natürlich dienstlich, das Abitur nachzuholen, so könnte man ihm die Inspektorenlaufbahn öffnen.

Wenn ich richtig unterrichtet bin , Monsieur Berger, studiert Ihre Verlobte doch auch in Rennes? Nun wäre das ein Angebot?"

Berger zögerte, sah den Richter fragend an. Papin wollte beiden Gelegenheit zum Nachdenken geben.

"Messieurs, ich brauche jetzt eine kleine Pause. Der Comte hat im Salon ein Stockwerk höher Café und etwas Gebäck bereitstellen lassen. Danach habe ich einige Dinge bekannt zu geben, die so vertraulich sind, daß ich den Teilnehmerkreis an unserer Sitzung weiter einschränken muß. Ich ersuche also in einer Viertelstunde den Marquis, den Comte, sowie die beiden Kommissare, wieder hier zu erscheinen, während ich die anderen Herrschaften bitte, im Salon auf uns zu warten.

Ach ja, Richter de Lacroix, dürfte ich Sie wohl bitten, den sechs immer noch wartenden Gendarmen zu erklären, weshalb es hier nichts zu beschlagnahmen gibt? Sie sind ja schließlich Ihr Auftraggeber. Vielen Dank!"

 

*****

 

In der kleinen Runde bemühte sich Papin keine Sekunde, irgendwelche unnötige Freundlichkeit an den Tag zu legen.

"Marquis, zunächst zu Ihnen! Sie fragen sich sicher, weshalb Sie als Ohrenzeuge zu dem geladen waren, was wir in der letzten Stunde besprochen haben. Und Sie fragen sich vielleicht auch, welches Angebot ich Ihnen machen werde, um Ihr Wohlverhalten zu erkaufen? Uns war daran gelegen, daß Sie und Ihr Verein wissen, daß Sie unter verschärfter Kontrolle standen und auch weiter stehen werden.

Und mein Angebot an Sie ist das, daß ich Sie wegen einer weiter zurückliegenden Sache nicht schlicht und einfach verhaften lasse, Sie und ein paar ihrer Freunde. Ich bin sogar bereit, mir vorliegendes Beweismaterial unter dem Teppich zu halten, wenn Sie sich bereit erklären, einen Skandal zu vermeiden."

Der Marquis schnappte wieder nach Luft. Er war es nicht gewohnt, daß man in solchem Ton mit ihm sprach. Und er wußte auch nicht, worauf der zwergenhafte Papin hinauswollte.

Doch der ließ ihn nicht lange im Dunkeln. " Sie sollten wissen, daß sich letzte Woche in le Havre ein ETA- Bombenbastler selbst in die Luft gesprengt hat. Der Arme war aber nicht nur für die ETA tätig, sondern als Auftragskiller für alle möglichen europäischen Terrororganisationen, auch für die Druidenloge. So hat er beispielsweise jenen bewußten Sprengsatz im Louvre in Ihrem Auftrag gelegt.

Was Sie wahrscheinlich nicht wußten, ist, daß der Bombenleger eine fürchterliche Buchhalterseele war, die ganz penibel Aufzeichnungen geführt hat, wann er in wessen Auftrag wo welche Sauerei angestellt hat, was er dafür für Arbeitsmittel gebraucht hat und wie er bezahlt worden ist. Diese Aufzeichnungen haben die Sprengung in Le Havre überstanden und befinden sich in meinem Besitz. Ich habe gegen Sie und Ihre Freunde also genug in der Hand, um Sie für lange Zeit aus dem Verkehr zu ziehen, wenn Sie auch nur laut mucken.

Und jetzt kommt auch Kommissar Moreau ins Spiel, der immer noch nicht weiß, warum ich ihn hierherzitiert habe. Unter den Aufzeichnungen unseres Bastlers findet sich auch ein Abschnitt über ein Attentat vor drei Jahren hier im Hafen von Lorient, bei dem ein Sicherheitsbeamter ums Leben gekommen ist und das sie, Monsieur le Commisaire, zunächst in arge Bedrängnis gebracht hatte, und an dem Sie, wie ich weiß, immer noch zu kauen haben.

Der Sachverhalt ist Folgender: Auch wenn man alle Leute glauben machen wollte, der Anschlag habe den beiden Ministern gegolten, so war doch sein Ziel eben jener Sicherheitsbeamte. Der Mann war als verdeckter Ermittler einige Zeit im Umfeld der Druidenloge tätig gewesen, und infolge einer unglaublichen Schlamperei innerhalb der Suretée zum Personenschutz der Minister auf deren bretonischer Tour abkommandiert worden.

Irgend jemand aus der Loge muß den Mann zwei Tage vorher in Brest erkannt haben, und die Loge faßte den Beschluß, ihn zu eliminieren. Durchführen sollte das unser mittlerweile verstorbener Auftragsterrorist, was er dann auch prompt erledigte. Zumindest gibt er sich in seinen Aufzeichnungen sicher, daß es sein Geschoß war, das das Ziel fand. Ein wenig war sogar sein Stolz verletzt, als man in der Öffentlichkeit Ihnen, Monsieur le Coomisaire, den Schuß anlastete."

Moreau machte ein ausgesprochen dämliches Gesicht. Mit allem Möglichen hatte er gerechnet, aber nicht mit einer solchen Enthüllung. Papin klopfte ihm auf die Schulter, wozu er sich mächtig strecken mußte

"Monsieur Moreau, ich bin beauftragt, Sie in aller Form zu rehabilitieren. Ende August wird Hauptkommissar de Lacroix auf einen höher dotierten Posten in Lyon versetzt werden." Er lächelte hämisch bis verschlagen. "Das wird unserem aufrichtigen Richter sicherlich gerade recht kommen."

Dann wurde er jedoch wieder ernst." Ich bin befugt, Ihnen als dessen Nachfolger die Leitung des Commissariats Central in Lorient, natürlich verbunden mit einer entsprechenden Beförderung, anzutragen.

Das Alles natürlich nur, wenn Sie bereit sind, Ihren persönlichen Groll für alle Zeiten hinunterzuschlucken. Kommen Sie,", er zog den Verdatterten am Arm Richtung Treppe, ohne die beiden Adeligen nur eines Blickes zu würdigen, "ich denke, darauf sollten wir anstoßen."

Der Marquis saß wie versteinert an einer Ecke der großen Tafel. Der Graf stand ihm gegenüber und musterte ihn ironisch: "Kommen, Sie Marquis, sehen Sie die Sache doch von der sportlichen Seite, Sie sind zwar angezählt, aber nicht K.O. Insofern kommen Sie doch noch ganz gut weg .

Im Übrigen habe ich noch ein Bonbon für Sie:

Im September wird eine Stiftung in Rennes ein neues Museum eröffnen. Kernstück der Sammlung werden Ihre acht Gemälde darstellen, die Sie uns dankenswerterweise abgetreten haben. Ich denke fast, das Museum sollte Ihren Namen tragen."

Der Marquis sprang auf und eilte mit einem gräßlichen Fluch auf den Lippen zur Tür nach draußen. Diesmal hielt ihn niemand auf.

*****

Es war Ebbe, als die Versammlung das Fort verließ, und die Beteiligten mußten die Strecke bis zum Parkplatz am Strand zu Fuß zurücklegen.

Berteau ging neben Monpas, dem Redakteur her: "So, wie sich die Dinge entwickelt haben,", sagte er, "muß ich bedauern, mein Versprechen mit der Exclusivstory nicht einlösen zu können. Schließlich sind wir jetzt alle zum Klappehalten vergattert."

"Ach, das mach nichts", Monpas schien ausgesprochen vergnügt, " Wissen Sie, das war vorherzusehen. Aber ich habe trotzdem eine gute Story. Hier, ich glaube, Sie haben heute noch nicht Zeitung gelesen."

Er zog aus der Manteltasche eine zusammengefaltete Ausgabe der Ouest France und hielt sie Berteau hin. Der nahm sie an sich und blieb stehen, um die Schlagzeile zu studieren.

"Kirchenräuber gefaßt" stand da in dicken Lettern, und darunter als Untertitel "Die seltsamen Methoden des Kommissars Berteau führen doch zum Erfolg."

Berteau faltete die Zeitung auseinander und erstarrte. Der Artikel war dreispaltig, und genau so groß wie der Textteil prangte ihm ein Photo entgegen. Es zeigte ihn, Gesicht in deutlichem Profil, der übrige Körper von hinten, mit nacktem Hintern im Nudistencamp. Zwei weitere Sonnenanbeter waren daneben zu sehen, aber deren Gesichter waren mit einem dezenten, schwarzen Balken unkenntlich gemacht.

Sein Wutschrei glich dem eines brüllenden Ochsen: "Wie kommen Sie dazu, so etwas zu veröffentlichen? Wo haben Sie das überhaupt her?"

Monpas wollte sich Ausschütten vor Lachen, wich aber vorsichtshalber zwei Schritte zurück.

"Zu Frage eins: Sie sind sozusagen eine Person des öffentlichen Interesses, da müssen Sie schon dulden, daß Ihr Bild veröffentlicht wird. Zu Frage zwei: Sie haben einen Fehler gemacht, als Sie es unterlassen haben, Henriette de Lacroix zu fragen, was sie in Rennes studiert.

Nun, sie studiert Publizistik, und zur Zeit macht sie in unserem Hause ein Volontariat"

Berteau brüllte erneut. Dann knüllte er die Zeitung zusammen und warf sie in den Schlick!

 

 

 

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