Vorwort:
Es ist vielleicht zehn oder fünfzehn Jahre her, da wurde der Büchermarkt von einer Welle gutgemeinter Ratgeber überschwemmt, die alle dieselbe wohlmeinende Absicht hatten, nämlich die, dem durch und durch neurotischen Zeitgeist mit einem praktischen Handbüchlein zu begegnen.
Nun, diese Büchlein begannen im Titel alle mit "Vom Umgang mit neurotischen.....", und es gab sie für Hunde, Katzen, Pferde, Ehefrauen, Ehemänner , Beamte und was weiß ich, noch alles.
Ich weiß nun nicht, ob es Absicht war, oder ob die Autoren sich an gewisse, sozusagen staatstragende Bevölkerungsschichten wie Polizisten, Journalisten oder Politiker nicht herangewagt haben, Fakt ist jedoch, daß wesentliche Bereiche extrem neurotischer Bevölkerungsteile ausgelassen worden sind.
Nun, eine der entstandenen Lücken will ich hier schließen.
Nun wäre es einigermaßen unbillig, wollte ich mich an den Politikern vergreifen, denn die, obwohl einer solchen Abhandlung durchaus würdig, bekommen ob ihrer neurotischen Handlungsweisen in den Medien ja genug Fett ab. Aber ich halte mich für kompetent, die Neurosen jener Berufgruppe unter die Lupe zu nehmen, der ich selbst lange genug angehört habe und deren systememanente neurotische Zwangsvorstellungen ich aus eigener Anschauung kenne, der des Soldaten.
Dem Leser mag vielleicht auffallen, daß bestimmte Betrachtungen sich durchaus auf andere Bereiche, wie z.B. den Öffentlichen Dienst übertragen lassen. Das liegt daran, daß die Institution, in der ich meine Betrachtungen angestellt habe, eben auch eine Form von Behörde ist, wenn auch eine besondere, und es liegt in der Natur der Dinge, daß in vergleichbaren Institutionen auch vergleichbare Verhaltensmuster erzeugt werden.
Begonnen habe ich bereits 1980 damit, diese ,meine Betrachtungen schriftlich festzuhalten. Daß ich erst heute wage, sie zu veröffentlichen, mag daran liegen, daß der eine oder andere geschilderte Typ vielleicht in der Lage ist, sich wiederzuerkennen, und das hätte wahrscheinlich während meiner aktiven Dienstzeit unangenehme Konsequenzen gehabt. Mag man mir mangelnde Zivilcourage vorwerfen, ich schlucke sie mir der Bemerkung, daß solche von einem uniformierten Soldaten nicht zu erwarten ist, denn, schon vom Wortstamm her schließen sich beide Zustände wechselseitig aus.
Neurosen sind, so ein medizinisches Handbuch, zwanghaft von der Norm abweichende Verhaltensweisen, die, werden ihnen nicht entsprechend begegnet, nicht selten die Vorstufe zur Psychose darstellen. Daß soldatische Verhaltensweisen von der Norm der Gesamtbevölkerung abweichen, dürfte unbestritten sein. Daß diese Abweichung zwanghaft ist, geht daraus hervor, daß es für den Bereich der Streitkräfte eine Spezialnorm gibt, die man gemeinhin Dienstvorschrift nennt und an dem Umstand, daß die militärische Hierarchie verzweifelt bemüht ist, diese Dienstvorschrift gegen besseres Wissen auch durchzusetzen.
Das ergibt eine erstaunliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, wie ich sie im folgenden Beispiel - zugegebenermaßen ziemlich verkürzt darstelle:
Einer der militärischen Kernvorgänge ist der sogenannte Führungsvorgang, mit dem sich vom Unteroffiziersanwärter aufwärts jeder miltärische Führer theoretisch herumzuschlagen hat. Er wird von den Führungspäpsten gerne als sogenannter "kybernetischer Regelkreis" so dargestellt:
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Ein Auftrag wird erteilt |
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Der Erfolg wird kontrolliert |
Die Lage wird
beurteilt |
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Entsprechende Befehle werden gegeben |
Ein Entschluss wird gefasst |
Der Gedanke hinter diesem System ist, daß es im Grunde, gelegentlich durch den Impuls "Auftrag" angestoßen ,zu einer Art Selbstläufer wird, sozusagen zu einem Perpeduum Mobile, das sich beständig im Kreis dreht und in dem die impulsgebenden Institution im Grunde genommen jeglicher Verantwortung für das Funktionieren enthoben wird.
In Wirklichkeit funktioniert besagter Regelkreis jedoch so:
Ein Problem taucht auf |
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Das Problem ist wieder da |
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Allgemeines Entsetzen |
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| Ein Unschuldiger
wird bestraft |
Ein Schuldiger wird gesucht |
Das Ergebnis ist letztlich dasselbe, mit dem unwesentlichen Unterschied, daß anstatt einer geführten Tätigkeitsausübung einer beliebigen Organisationsebene eine permanente Neurose in Schwung gebracht und zur Fortexistenz angehalten wird.
Merke:
Jeder zweite Soldat ist hochgradig neurotisch,
aber nicht jeder Neurotiker ist Soldat.
Der Grundstock für die Neurosen aller Soldaten wird mit der Zustellung des Einberufungsbescheids gelegt. Deshalb trifft man sie auch in allen Dienstgrad- und Laufbahngruppen an.