Die subjektiven Neurosen

2.1.1. Die Teebeutelneurose

Es gibt Menschen, die sind wie Teebeutel.

Sie müssen sich überall hineinhängen.

Entsprechend ausgelaugt ist üblicherweise das Ergebnis.

W.H.1990

Der liebe Gott weiß alles. Unser Hauptmann S. weiß alles Besser.

Alte militärische Weißheit.

Man mag bei den Streitkräften hinkommen, wo man will, er ist immer schon da: Jener Typ Soldat, der den vorstehenden beiden Zitaten entspricht.

Und er wird überall als Alptraum des militärischen Alltags empfunden. Gemeint ist jener Typ, der sich mit notorisch-neurotischer Besserwisserei umgibt, und meint, sich ungefragt überall einmischen zu müssen.

Egal, ob ein besprochenes Thema dienstlich oder privat, aktuell oder veraltet, wesentlich oder nebensächlich ist, der Teebeutelneurotiker, so wollen wir ihn in Anlehnung an W. H.'s Erkenntnisse nennen, hängt sich auf Stichwort unaufgefordert hinein.

Dabei benötigt er keinerlei Information zum Thema an sich, das Stichwort, wie gesagt, genügt völlig.

Angenommen, eine Runde Sachbearbeiter unterhält sich über organisatorische Fragen zum Thema "Transport von gefährlichen Gütern auf der Straße", so fällt zwangsläufig irgendwann der Begriff "Kraftfahrzeug" oder "LKW", oder noch besser, weil allgemeiner "Auto". Wie für den Komparsen im Theater ist das das Auftrittssignal für den Teebeutelneurotiker. "Auto", davon hat er schon gehört,. das Ding, mit dem er morgens zum Dienst erscheint, ist so was.

Er betritt die Bühne, ein beifallheischender Rundblick, tief Luft geholt, und dann doziert er ohne Punkt und Komma zehn Minuten über die Vorzüge des Achtzylinder-Mehrventiler-Motors mit elektronischer Einspritzung und oben querliegender Nockenwelle.

Zunächst kommt die ursprüngliche Runde nicht mehr zu Wort. Doch muss der ungebetene Referent ja irgendwann doch einmal Atem holen. Diese Gelegenheit benutzt nun der Versandleiter einzuwerfen, man unterhalte sich ja eigentlich über einen anstehenden Munitionstransport.

Das bringt den Teebeutler jedoch nicht in Verlegenheit. Ansatzlos stellt er fest, dass eben jener Munitionstransport viel komfortabler zu bewerkstelligen wäre, wenn die Truppe über Fahrzeuge mit Achtzylinder-Mehrventiler-Motoren mit elektronischer Einspritzung und oben querliegender Nockenwelle verfügen würde.

Es gibt kein Thema, in dem sich der Teebeutler nicht auskennt, mal abgesehen von seinem eigenen Arbeitsbereich. Er ist in zwanglosen Runden mühelos in der Lage, sich an fünf verschiedenen Unterhaltungen gleichzeitig zu beteiligen. (der Autor schafft das nur bei einem Blutalkoholgehalt von zwei-komma-vier Promille). Kennzeichnend ist die Tatsache, dass er seine Beiträge gezielt dort placiert, wo sie nicht erwünscht sind.

Das gilt nicht nur für seinen verbalen Einsatz. Er kümmert sich auch in der Arbeit mit Vorliebe um alles, was außerhalb seines eigenen Zuständigkeitsbereichs liegt.

Unglücklicherweise besitzt der Teebeutelneurotiker in der Regel die erforderliche Amtsautorität, will sagen, er ist hierarchisch irgendwo in der mittleren oder gehobenen Führungsebene angesiedelt, und nur selten ist man in der Lage, ihm zu sagen, er solle sich gefälligst um seinen eigenen Mist kümmern.

Seine Kompetenz leitet  er im Normalfall aus zwei Erfahrungsgruppen ab. Die Eine ergibt sich aus dem kaum nachprüfbaren aber stets präsentierten Umfeld des Teebeutlers, als da sind:

  1. Ich habe mal Einen gekannt, der wusste, dass......

  2. Ich kenne Einen, der kennt Einen, der weiß....

  3. Ich habe gelesen, ich weiß nicht mehr wo, aber da steht....

  4. Mein Vater ist Arzt, von dem weiß ich.....

  5. Mein Bruder ist Rechtsanwalt, der sagt, da kann man prozessieren

  6. Mein Schwester ist Steuerprüferin, die sagt, das kann man abschreiben...

  7. Man muss bedenken, dass....

  8. Nach meiner Erfahrung ist das so, weil......

Die Zweite Erfahrungsgruppe ergibt sich aus dem ebenfalls nicht nachprüfbaren Bekanntenkreis des Teebeutlers. Selbstverständlich kennt er vom Oberstleutnant aufwärts bis mindestens zum Staatssekretär jeden möglichen Vorgesetzten persönlich und natürlich auch privat. Daher kommt auch seine stehende Aussage: "der General und ich haben beschlossen.....

Machen Sie den Test:

Erfinden sie einen General, z.B. den Generalleutnant Otmar Freiherr von Grunz, fiktiver Kommandeur der xy. Panzerdivision. Lassen sie in einem unverfänglichen Gespräch einige abfällige Bemerkungen über den gerade erfundenen General fallen. Sagen Sie, dieser sei in ihren Augen ein ausgemachtes Rindvieh, das mit tumber Heldengläubigkeit seine Division bedenkenlos verheizen würde, würde man ihn nur lassen.

Sofort wird ihnen der Teebeutelneurotiker vehement widersprechen. Mal abgesehen davon, dass er mit dem General von Grunz weitläufig verwandt ist, er kennt ihn ganz anders. Er hat ihn anno dazumal auf dem Truppenübungsplatz Weißnichtwo bei einer Gefechtsübung kennen gelernt, und er hat ihn als umgänglichen Menscher empfunden, der vor allem immer weiß, wovon er redet.

Begehen Sie jetzt um Himmels Willen nicht den Fehler, den Teebeutler darüber aufzuklären, dass es den von ihnen erfundenen General ja gar nicht gibt. Minimal eine Stunde lang wird er Ihnen erklären, warum der General so wäre, wie er ihn denn sieht, wenn es ihn gäbe.

Und damit sind wir bei der unschlagbaren Lebenserfahrung des Teebeutlers angelangt. Nach all den Erfahrungen die er hat und den Einsätzen die er mitgemacht hat und aus denen er seine Weißheiten schöpft muss er mindestens vierhundert Jahre alt sein.

Wenn Sie indiskret genug sind und wissen, wie man an sie herankommt, lesen Sie seine Personalakte. Sie werden feststellen, dass er mehr als ein lausiges Abitur und ein abgebrochenes Studium nicht nachzuweisen hat.

Es ist unsinnig, den Teebeutler meiden, ihm gar ausweichen zu wollen. Je mehr Sie das versuchen, desto mehr wird er Sie verfolgen. Irgendwann wird er mit ihnen zusammenwachsen wie ein Siamesischer Zwilling. Die einzige Möglichkeit, sich zeitweilig von ihm Luft zu verschaffen, ist folgende.

Bitten Sie ihn um einen Rat in einer Frage, die sein eigentliches und ureigenes Sachgebiet betreffen. Das ist das Einzige, was er nicht aus dem hohlen Bauch heraus beherrscht, da muss er sich zuerst kundig machen. Verlangen Sie aber nichts kompliziertes von ihm, sonst besteht die Gefahr, dass Sie ihm zuarbeiten müssen. Und, abgesehen davon, dass sie so die Problemstellung gleich selber lösen können, er wird ihnen bis zur Antwort ständig auf den Füßen stehen.

Je einfacher die Problemstellung, desto eher wird er den Eindruck haben, sie selbst lösen zu können, und desto länger werden Sie Ruhe vor ihm haben.

Und noch ein Rat:

Manchmal ist es unvermeidbar, dass sie, ausgelöst durch einen Befehl höheren Ortes mit einem Teebeutler zusammenarbeiten müssen. Will heißen, Sie arbeiten und er ist mit Ihnen zusammen. Wenn Sie nun eine praktikable Problemlösung erarbeitet haben, dann tun Sie gut daran, sie der zur Entscheidung befugten Stelle unter Umgehung des Dienstwegs und der Hierarchie und vor allem ohne den Teebeutler zu präsentieren.

Wird der beteiligt, wird er bei der Präsentation Ihre Lösung als die seine ausgeben, oder, was wahrscheinlicher ist, er wird sie mangels Verständnis bis zur Unkenntlichkeit und Unbrauchbarkeit zerreden.

Der Dumme sind in beiden Fällen Sie

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